Wir werden es nie erfahren. Gemunkelt wird, es sei der 11. Juni (das dürfte feststehen) 1929 oder 1930 oder … Offiziell aber ist im Passvermerk 1927 angegeben – und da man im jetzigen bürokratielastigen Deutschland einen Menschen mehr nach seinen Daten als nach seinen Taten beurteilt, ist dies offiziell Sanktionierte auch Anlass zur Gratulation zum virtuellen Achtzigsten.
Es geht um Josef Anton Riedl, geboren in München, Sohn einer jüdischen Mutter, was die Verwirrung um das Geburtsjahr erklärt. Denn sie musste vor den Nazis fliehen und brachte den Sohn in einer Klosterschule unter, wofür er etwas älter sein musste. Später dann mag das Datum wieder fatal geworden sein, denn im Verzweiflungskampf um den Endsieg wurden gegen Ende des Krieges auch Jugendliche und Kinder in den Krieg geschickt. Vielleicht wurde man in diesem Umfeld wieder auf Riedl aufmerksam, kurz vor Kriegsende jedenfalls wurde er von den Nationalsozialisten aufgegriffen. Die Amerikaner aber retteten ihn, Riedl kam nach Frankreich und nach Algerien und kehrte dann 1947 wieder nach Deutschland zurück. Ein Satz von Georg Büchner hat Riedl immer beschäftigt. Er könnte auch über seinem Leben stehen: „Vielleicht ist es so, vielleicht ist es aber auch nicht so.“
In der Tat ist Josef Anton Riedl schwer zu fassen. Eines aber steht fest: Er war immer ganz vorne mit dabei. Kaum wieder in München (das war also vor 60 Jahren!) mischte er sich ungestüm in die Auseinandersetzungen um eine radikal neue Musiksprache. Die Klänge, so war allgemeiner Konsens unter den jungen Komponisten, sollten von allen Schlacken des Gestrigen gereinigt sein. Keine Espressivo-Dünste sollten in ihnen wabern, sie sollten für sich stehen, nackt und klar und ohne Geste eines vom Menschen ok-troyierten Ausdrucks. Hierbei wurde an mehren Strängen gezogen: die abstrakten Formulierungen Weberns (die freilich nicht so abstrakt waren, wie man es damals sah), die Schlagzeugmusik eines Varèse, die Welt der elektronischen Klänge, schließlich das Denken von John Cage, der die Klänge und Geräusche über Zufallsmanipulationen vom menschlichen Zugriff befreite. All dies hatte das Merkmal des Experimentellen, das für Riedl bis heute bestimmend blieb. Schon bald (das Gymnasium musste noch abgeschlossen werden, danach studierte er an der Münchner Musikhochschule) umgab er sich mit dem Equipment eines elektronischen Studios und begann, beeinflusst zunächst von der Musique Concrète eines Pierre Schaeffer, dann von den Versuchen mit rein elektronisch generierten Klängen, selbst elektronische Werke zu komponieren.
Andere für ihn bedeutende Ansätze waren Rhythmusversuche mit Schlagzeug, auch mit dem Klatschen der Hände oder auf einfachen Materialien, dann die Auseinandersetzung mit Sprachklängen auf abstrakter Basis. Zusammenarbeit mit Theater und Film (z.B. mit Edgar Reitz) ließ schon in den 60er-Jahren Techniken ahnen, die heute freilich als Multi-Media schon wieder die Schrammen des Entertainments bekommen haben.
Jugend, das war für Riedl immer ein ausschlaggebender Begriff. Schon 1950 gründete er zusammen mit Herbert Barth, Eckhart Rohlfs und Reiner Bredemeyer die deutsche Sektion der Jeunesses Musicales in der Überzeugung, dass Kultur immer aufbauen muss auf den Umsturzideen der jungen Menschen (das Gefühl für Tradition stellt sich dann von selbst ein). Und so begleitete Riedl schon seit den späten 50er-Jahren die Münchner musica viva durch eine Parallelreihe für experimentelle Musik: zunächst „Neue Musik München“, später dann „Klangaktionen“. Die gibt es heute noch und sie ist, das ist Eigendefinition des Experiments, über fast ein halbes Jahrhundert lang jung geblieben. Wie auch Riedl in seiner Unermüdlichkeit. Wer auf diese Art jung bleibt, für den spielt das Geburtsjahr wohl keine Rolle. Wir sagen Danke.