Viel wird gegenwärtig über den Stillstand im Land geredet. Die Politiker ergehen sich in Aufrufen und versprechen alles zu ändern, die Unternehmerverbände rufen nach Freiheit und Herr Westerwelle kräht, an allem seien die Gewerkschaften Schuld. Glaubt man den hektischen Willensbekundungen, so scheint das Erwachen aus der Starre nur noch eine Frage von Wochen. Vielleicht ist aber auch nur eine höhere Stufe jenes Zustands erreicht, den Nietzsche so umschrieb: „Alles gackert, doch niemand will Eier legen.“
Ein Blick in den banalen Alltag legt dies nahe. Das folgende Beispiel gleicht einer Kurzversion von Karl Valentins Buchbinder Wanninger im Zeitalter der digitalisierten Nicht-Kommunikation. Schauplatz ist der Computerbildschirm, „Kommunikationspartner“ eine führende Internetbank. Wir befinden uns im Zentrum des rasenden Fortschritts, wo es vor lauter unternehmerischer Effizienz und Hightech nur so blitzt. Als Schnittstelle zwischen Unternehmen und Bittsteller, pardon: Kunde, fungiert die technische Hotline. Grund der Mitteilung: Irgendwo auf der hoch gestylten Website klemmt ein Link. Die Namen und Daten sind im folgenden elektronischen Dialog geändert.
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Formulartext, gesendet am 6. 6. an
Wenn man einen bestehenden Auftrag ändern will, funktioniert der Absende-Button zu Schritt 2 nicht – der Auftrag lässt sich nicht ändern. MfG Max Nyffeler
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Antwort der x-bank am 8.6. um 8:00 Uhr:
Sehr geehrter Herr Nyffeler,
vielen Dank für Ihre E-Mail. Das von Ihnen geschilderte Problem ist uns bekannt und bereits mit der Bitte um Klärung an die zuständige Abteilung weitergeleitet worden. Wir möchten Sie bitten, die Unannehmlichkeiten zu entschuldigen und bitten um Geduld.
Mit freundlichen Grüßen, Hannes Traxler, Technische Hotline TRACKING NUMBER: A00000124474-00000580734
Originalnachricht:
F_Kundennummer: 117*****; F_Interessentennummer: 245*****; F_Identstatus: 2; F_System: Mac OS X; F_Browser: Safari 312; F_Provider: gmx; F_Firewall: Nein; F_Proxies: Nein; F_Fehler: Keine Fehlermeldung
Wenn man einen bestehenden Auftrag ändern will, funktioniert der Absende-Button zu Schritt 2 nicht – der Auftrag lässt sich nicht ändern. MfG Max Nyffeler
x-bank Aktiengesellschaft
Vorstand: Anton Carlsberg (Vorsitzender), Vera Katzer; Vorsitzender des Aufsichtsrates: Bernhard Tarnow
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Antwort an die x-bank am 8.6.:
Sehr geehrter Herr Traxler,
besten Dank für Ihre Nachricht. Die Sache ist klar, ich bin aber doch erstaunt über diese bürokratische Art, so ein Problemchen anzugehen.
Wenn der nicht funktionierende Link bekannt ist, wäre es doch für Ihre IT-Leute eine Angelegenheit von zwei Minuten, ihn einzurichten. Doch statt zu handeln wird aus dem Detail offenbar ein Vorgang gemacht, der an eine „zuständige Abteilung weitergeleitet“ wird, und diese scheint dann tagelang zu prüfen, ob und wie sie die Sache klären möchte. Und das zu einem Stundenlohn von vermutlich 150 Euro. Auch so kann ein Unternehmen Geld verbrennen: das eigene und das der Kunden, die ihre Zeit mit fruchtlosem Herumprobieren verschwenden. (Der Verlust ist sicher gering im Vergleich zu den Kosten Ihres schlecht funktionierenden Internet-Auftritts.)
Mir scheint das Ganze symptomatisch zu sein für die heutige Situation, in der individuelles Denkvermögen und individuelle Verantwortungsbereitschaft so gründlich an den Computer delegiert worden sind, dass wir nun bald Zustände wie in Honeckers SED-Bürokratie haben – nur auf einer höheren technischen Stufe, was aber umso verheerender ist. Kein Wunder, dass in diesem Land nichts mehr läuft.
Es ist mir klar, dass diese Mail nichts bewirkt und irgendwo im Datenfriedhof Ihres Firmen-Intranets verschwindet. Ich bin ja auch nur ein kleiner Kunde, und Sie sind nicht die zuständige Person für Beschwerden. Die Verantwortlichen für den ganzen Betrieb wiederum interessieren sich nicht für Details, sondern nur für die ganz großen Strategien und das, was sie in ihren Managerkursen eingetrichtert bekommen haben. Sie, Herr Traxler, werden also genau so wenig ändern können wie ich. Sie können nur nette E-Mails zum Abwiegeln verschicken – ein unersprießlicher Job, da Sie genau wissen, dass es nichts nützt. Ich beneide Sie nicht darum.
Für mich ist das die erneute Bestätigung, dass hinter den dynamischen Logos und Effizienz simulierenden „Erscheinungsbildern“ vieler Unternehmen gewaltig viel Leerlauf produziert wird. Ihre Bank liegt da voll im Trend.
Ich bin sicher, Sie nehmen mir die offene Sprache nicht übel, denn es ist ja nicht persönlich gemeint. Sie brauchen mir auch nicht auf diese Mail zu antworten, denn Sie haben sicher Wichtigeres zu tun.
Mit freundlichen Grüßen, Max Nyffeler
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Anmerkung am 15.6.: Eine Antwort ist nie eingetroffen, was ja auch verwundert hätte. Der Link ist noch immer defekt. Was weiter nicht verwundert.