Seit rund einem Jahrzehnt ist die DVD auf dem Markt. Sie hat die Videokassette verdrängt, ihr Umsatz macht heute rund zehn Prozent des CD-Umsatzes aus, und mit den neuen Formaten, der hochauflösenden BluRay-Disc respektive HD-DVD, findet gegenwärtig ein Technologiesprung in die zehnfache Speicherkapazität mit entsprechend neuen technisch-ästhetischen Standards statt.
Aber noch immer meinen manche Musikhörer, es handle sich hier nur um ein teures Spielzeug, das zu nichts taugt als den abgefilmten Troubadour oder Figaro auf Wohnzimmerformat zu verkleinern – zum Schaden von Werk und Aufführung und zum Nachteil des mit Konserven gefütterten Publikums. Übersehen wird dabei, dass der Tonbildträger aufgrund der technischen Möglichkeiten eigene Gesetzmäßigkeiten entwickelt hat.
Es sind Darstellungsformen entstanden, die sich von der bloßen Abbildfunktion des Fernseh-Pantoffelkinos weit entfernen. Erstaunlich nur, dass sich die Kritik meist nur oberflächlich mit der DVD abgibt – es besteht noch immer ein seltsames Misstrauen gegenüber dem gar nicht mehr so neuen Medium.
Der Industrie ist das indes egal, sie produziert munter drauflos.
Klassik am Bildschirm rentiert offensichtlich. Bei den vom IMZ, dem Internationalen Musik- und Medienzentrum Wien, stets im Rahmen der MIDEM in Cannes veranstalteten „Avant Premiere Screenings“ wurden in diesem Jahr Ausschnitte von über dreihundert neuen Musikfilmen vorgeführt. Die meisten finden über kurz oder lang den Weg auf die DVD. Und das ist nur die qualitative Spitze des Eisbergs.
Die Produzenten stammen aus aller Welt, die meisten aus Europa, wo es dank der öffentlichen Fernsehanstalten mehr Möglichkeiten als anderswo gibt. Doch es gibt Anzeichen, dass sie sich zurückziehen.
Klassik im Fernsehen bringt eben keine Quote. Die interessanteren Produktionen stammen denn auch meist von freien Produzenten. Sie halten sich durch Mischfinanzierung offenbar recht gut über Wasser, an Geldgebern fehlt es nicht.
Eine neue Dynamik ist eingekehrt. Es gibt Neugründungen und Zusammenschlüsse, es wird tüchtig gekauft und investiert, und das alles auf lange Frist. Bereits wird über „Klassik on demand“ nachgedacht, abrufbar gegen Bezahlung im Internet. Wer heute den Fuß in die Tür kriegt und ihn nicht einklemmt, legt den Grundstein zum finanziellen Erfolg von übermorgen.
Das Spektrum der Akteure ist breit und reicht vom neuen Klassik-Hai bis zum wagemutigen Musikenthusiasten. Der Berliner Impresario Peter Schwenkow etwa bastelt mit seiner Firma DEAG an einem internationalen Verbund von Live-Großveranstaltungen, Fernsehübertragungen und DVD, um das Trio Netrebko/Villazon/Domingo als Nachfolger der drei Tenöre zu etablieren; die DVD ist für ihn bloß ein Instrument des Event-Marketings.
Am anderen Ende steht eine Nischenfirma wie die englische Breakthru Films, die mit einer fantastischen Produktion von „Peter und der Wolf“ (erhältlich bei Arthaus) neue künstlerische Wege beschreitet. Dazwischen eine wachsende Zahl von Opernproduktionen traditionellen Zuschnitts, aber von künstlerisch wie technisch hoher Qualität, die ein anspruchsvolles Publikum ansprechen und als Dokumentation wertvolle Dienste leisten.
Aus den diffusen Anfängen vor zehn Jahren ist heute ein ernst zu nehmendes Medium geworden, das aus dem Klassikmarkt nicht mehr wegzudenken ist. Bei der anhaltenden Krise der CD darf man spekulieren, ob vielleicht die mediale Zukunft der Klassik in der Verbindung von Hören und Se-hen liegt. Was das für die Musikwahrnehmung bedeutet, ist noch nicht abzusehen.