Die Exekutive hat sich festgelegt. Kunst oder nicht, egal. „Kammerphilharmonie Amadé“, eingetragener Verein, Sitz in Köln, Freundeskreis in Münster – kann weg, nach Lage der Dinge muss man sagen: soll weg. Ein nordrhein-westfälisches Orchester der freien Szene im freien Fall. Der vermeintliche „Sachzwang“ der „Fakten“, womit eine kommunale Kulturverwaltung operiert, ist falscher Schein. Belastendes wird potenziert, Entlastendes negiert.
1997 in Nordrhein-Westfalen von Frieder Obstfeld gegründet, hat sich das in der Tradition von Sándor Végh stehende Ensemble mit seinem Schwerpunkt Wiener Klassik/Klassische Moderne im Rahmen der „Sommerlichen Musiktage Soest“, bei hochkarätig besetzten Solistenkonzerten in die Herzen der Musikfreunde gespielt, sich dank künstlerischer Exzellenz die ungeteilte Achtung der Fachwelt erworben. Anfänglich übrigens auch die der Politik. Lang ist’s her. Mittlerweile lässt man eine latent amadéfeindliche Verwaltung gewähren.
Der Hebel sind Rückforderungen. Nur, dass deren ursächliches Zustandekommen unhinterfragt bleibt. Etwa die jahrelange Praxis, in Aussicht gestellte Mittel kurz vor, während und noch nach Maßnahmebeginn zu versagen. Das Projektbewilligungs- besser wohl: Projektbehinderungsjahr 2011 ist hier als trauriger Höhepunkt in Erinnerung zu rufen. Wie um alles in der Welt soll man sich erklären, dass ein gemeinsam mit der Bezirksregierung in Köln erarbeiteter und von dieser befürworteter Amadé-Antrag noch in letzter Sekunde abgelehnt wurde? Was keine Petitesse mehr ist, eher ein Vorgang mit geschäfts- respektive rufschädigendem Potenzial. Immerhin musste der Verwaltung doch bekannt sein, dass Szene-Star Vesselina Kasarova zum Zeitpunkt des Zuwendungs-Widerspruchs bereits angereist war. Die Folge: ein kapitaler Querstand in der Bilanz. Künstlerisch überragend (diese Zeitung hat berichtet), ökonomisch ein Desaster. Defizit: 30.000 Euro. Dazu eine schwarz verhängte Ensemblezukunft insofern verabredete Anschlussprojekte von den Veranstaltern gecancelt werden und die Kasarowa die Kammerphilharmonie seitdem in schlechter Erinnerung behält. Kurz: Die Anerkennung – das Gold, die Generalmünze der Künstler, hat sich durch ein verantwortungsloses Verhalten einer eigentlich auf Kulturförderung, auf Kunstermöglichung vereidigten Behörde ins Gegenteil verkehrt. Ein Super-Gau. Und eine Hypothek, die Amadé seitdem mitschleppt.
Und die ihr – übles Spiel – seitdem an- und vorgerechnet wird. Führungslos gewordene Verwaltungen können gnadenlos sein. Mit dem Segen der Kulturabteilung beim Ministerium in Düsseldorf besteht ein „Dezernat 48“ bei der Bezirksregierung in Köln (dasselbe, das vor Jahr und Tag das Kasarowa-Projekt befürwortet hatte) aktuell auf Heller- und-Pfennig-Rückzahlung der Gesamtforderung. Nicht uninteressant übrigens der Zeitpunkt, an dem die Maschinerie in Gang gesetzt wird. Mitten in den Sommerferien, möglichst unbeachtet von einer kritischen Öffentlichkeit, bekommt Orchestervorstand Christoph Tentrup Post vom Gerichtsvollzieher. „In der Zwangsvollstreckungssache Landeskasse Düsseldorf gegen Sie habe ich bei Ihnen wegen einer Gesamtforderung von 34.285,19 + 56,05 Euro Gerichtskosten zu vollstrecken.“ Dafür vergeben Vollstrecker naturgemäß Aktenzeichen. Hier ein besonders aussagekräftiges, eine Zahlenkolonne vorweg, wie ein Geschoss, gleich dahinter der Ziel- und Aufschlagspunkt: 040301050815AMADE. Weiter unten, zentriert-fett, die Schlussdrohung: „Falls Sie zu diesem Termin unentschuldigt nicht erscheinen oder wenn Sie sich grundlos weigern, die Vermögensauskunft abzugeben, wird auf Antrag des/der oben genannte Gläubigers/in Haftbefehl gegen Sie erlassen.“ Auf Antrag des Gläubigers Haftbefehl. Letzterer, damit man es auch glaubt, unterstrichen. Kommunale Kulturbehörden drohen Kulturorchestern mit dem Knast. Das vermeintliche Recht im Kopf, die Gewalt im Rücken. Schon immer hatten wild gewordene Verwaltungen, bekannt aus alten 68er-Zeiten, so ihre Instrumente. Wenn sonst nichts mehr half, wenn die „Quälgeister“ keine Ruhe gaben, wenn sie wie in diesem Fall immer noch glauben, den Landesorchestern unliebe Konkurrenz machen zu sollen in „unserer Musiklandschaft Nordrhein-Westfalen“ – dann legen wir die Axt eben an die ökonomische Basis.
Wie das alles sein kann? Gute Frage. Fest steht, dass elementarste Grundsätze demokratischer Rechtspraxis außer Kraft gesetzt sind. Gleichbehandlung? Beachtung der Besonderheiten des Einzelfalls? Berücksichtigung der Interessen des Zuwendungsempfängers? Würdigung von Entlastungsmomenten? Nicht im Fall der Kammerphilharmonie Amadé. Ermessensspielräume, die das Verwaltungsverfahrensgesetz ausdrücklich anbietet, werden nicht genutzt, die geltende Gesetzeslage missachtet. Den maßgeblichen Erlass des NRW-Finanzministeriums betreffend „Rückforderungen von Zuwendungen“ hat man zuerst überhaupt nicht rausrücken wollen. Wie der zuständige Kulturdezernent gegenüber dem Gründungsdirigenten Frieder Obstfeld einräumt, ist darin bezeichnenderweise „bereits seit vielen Jahren“ die „ausnahmsweise Reduzierung von Rückforderungen“ geregelt. Nur eben nicht für eine Kammerphilharmonie Amadé. Dabei war derselbe Erlass bei der Bezirksregierung Detmold die Grundlage dafür, Rückforderungen gegenüber den Literatur- und Musikprojekten „Wege durch das Land“ und „Literaturbüro Ostwestfalen-Lippe“ um unterm Strich immerhin satte 75 Prozent zu reduzieren. Da ging trotzdem was.
Nichts geht im Fall der Kammerphilharmonie Amadé. Stattdessen muss sie sich gebetsmühlenartig „nichtordnungsgemäße Geschäftsführung“ vorhalten lassen. War es etwa „ordnungsmäß“, wie man dem Ensemble in der Kasarova-Sache mitgespielt hat? Gelegentlich kommt dann noch ein vorgeblicher „Täuschungsversuch“ dazu, der nach einem auch der Verwaltung bekannten Rechtsgutachten keiner ist. Da mutet es nur noch zynisch an, dass ein Kulturstaatssekretär beim Ministerium die besorgte Vertreterin des Freundeskreises, die offenherzig die finanzielle Zwickmühle des Orchesters schildert, eben dies als Eingeständnis der „Insolvenz“ auslegt, um neuerlich jede Möglichkeit von Zuwendung auszuschließen. Im gleichen Atemzug wird unterstellt, das Orchester wolle die (eigentlich ja gerade versagte) Zuwendung, also das Zuwendungs-Versprechen, als obligatorischen Eigenanteil umtaufen, um so seine Rückforderungen begleichen zu können. Dabei dürfte doch auch im Ministerium bekannt sein, dass jedweder „Eigenanteil“ (bei der KPA war er übrigens immer vergleichsweise hoch) aus Erlösen von Gastspielen zustande kommt. Schließlich: Dass besagte Rückforderungen seitens des Orchesters „nicht bestritten wurden“ – wie es mit kaum verhüllter Genugtuung im Schreiben des Kulturstaatssekretärs heißt –, hatte seinen Grund in Wahrheit darin, dass man dem Orchester bei der Bezirksregierung ausdrücklich geraten hatte, den Klageweg nicht zu beschreiten. – So geht das weiter und weiter. Das Ganze ein Aberwitz, eine einzige Zumutung. Die Exekutive hat sich festgelegt. Bliebe die Frage an die Legislative. Will sie weiter zuschauen?