Wenn sich Nationalhymne definiert als liedhaftes, mehr oder weniger pathetisches Musikstück, das gerne und regelmäßig bei offiziellen, festlichen Gelegenheiten massenhafter Zusammenkünfte vokal und/oder instrumental angestimmt wird, dann muss es sich bei Friedrich von Schillers Ode „An die Freude“ in der Vertonung von Ludwig van Beethoven um die japanische Nationalhymne handeln. „Nippon“, so vermute ich, ist nichts anderes als das japanische Wort für „Neunte“. Die nämlich ist allein um die Jahreswende im Großraum von Tokyo in zirka 37 Aufführungen zu erleben. Ich bin noch keinem deutschen, auch keinem französischen, russischen, Schweizer, sogar koreanischen Dirigenten von wie auch immer bescheidenem internationalen Renommee begegnet, der nicht schon mindestens eine Serie von Neunten im Reich der rot aufgehenden Sonne geleitet hat.
Wenn sich Nationalhymne definiert als liedhaftes, mehr oder weniger pathetisches Musikstück, das gerne und regelmäßig bei offiziellen, festlichen Gelegenheiten massenhafter Zusammenkünfte vokal und/oder instrumental angestimmt wird, dann muss es sich bei Friedrich von Schillers Ode „An die Freude“ in der Vertonung von Ludwig van Beethoven um die japanische Nationalhymne handeln. „Nippon“, so vermute ich, ist nichts anderes als das japanische Wort für „Neunte“. Die nämlich ist allein um die Jahreswende im Großraum von Tokyo in zirka 37 Aufführungen zu erleben. Ich bin noch keinem deutschen, auch keinem französischen, russischen, Schweizer, sogar koreanischen Dirigenten von wie auch immer bescheidenem internationalen Renommee begegnet, der nicht schon mindestens eine Serie von Neunten im Reich der rot aufgehenden Sonne geleitet hat.Als es 1985 gilt, in Tokyos Sieben-Millionen-Stadtteil Sumida die Wiedereröffnung des alten Nationalstadions („Kokugikan“) mit dem gebotenen Pomp zu begehen, da liegt es natürlich auf der Hand, dies mit einer Aufführung von Beethovens op. 125 zu tun und sich damit möglichst gleich im Guinness-Buch der Rekorde zu verewigen. Die Plätze im Stadion werden gerecht 1:1 verteilt – 5.000 für die Chorsänger, 5.000 für die Zuhörer, im Innenraum das lediglich verdoppelte Orchester. Hatte man dabei zunächst an ein einmaliges Ereignis gedacht, so lässt der überwältigende Erfolg daraus eine Tradition der alljährlichen Wiederkehr werden, von der Sumida Chorgesellschaft gestemmt. Doch damit nicht genug: „Diesen Kuss der ganzen Welt“, heißt es ja in dem von allen Choristen auf deutsch geschmetterten Schiller-Text! Singt’s und beschließt, die adoptierte japanische National-Ode zum Exportschlager umzudrehen.Da tritt ein Berliner Intendant auf den Nippon-Plan, um für sein Orchester eine Tournee einzufädeln. Bei Sushi und Bier lässt er sich davon überzeugen, dass die Städtepartnerschaft Tokyo-Berlin keine Einbahnstraße sein dürfe und sich der Sumida Chor für einen Gegenbesuch anbietet, wenn auch nicht unbedingt in voller Besetzung. Versprochen ist versprochen, auch als sich herausstellt, dass das Berliner Orchester zum gewünschten Termin, Ostern 2001, gar nicht zur Verfügung stehen kann. Was nun? Die rettende Idee: das LandesJugendOrchester Berlin! Denen ist beinahe alles zuzutrauen, seit sie im ehrwürdigen Konzerthaus am Gendarmenmarkt im vergangenen September eine Mahler-Symphonie hingelegt haben, die sich ihres Beinamens „Titan“ nicht zu schämen brauchte. Warum also nicht nach Mahlers Erster nun Beethovens Letzte?
Beim Landesmusikrat in der Hauptstadt holt man tief Luft, und als die Finanzierung durch den Chor der Fünftausend und das Konzerthaus auch für’s Orchester gesichert erscheint, springt die Ampel auf Grün. Mit Peter Gülke wird ein gestandener Pulthase geholt, der das LJO kennt und üppig Neunte-Erfahrung besitzt, selbstverständlich auch in Japan. Nur: mit 200 bis 250 Leuten hat sich der Sumida-Chor angekündigt – wie soll man die bloß auf dem Podium unterbringen, im Konzerthaus und erst im viel kleineren Potsdamer Nikolaisaal?
Die Sorge wechselt plötzlich das Vorzeichen, als die Nachricht eintrifft, man werde am Karfreitag spätabends anreisen, und zwar mit 62 Choristen, davon 42 Alte – in des Wortes doppelter Bedeutung, wie sich später noch herausstellt. Das sind genau 1,24 Prozent der Sumida-Besetzung, dazu stimmlich nicht eben ausgewogen. Nun wird’s kritisch. Beim Landesmusikrat heißt es: „Brüder! Überm Sternenzelt muss ein lieber Vater wohnen.“ Der weiß tatsächlich Musik-Rat und lässt ihn der Projektleiterin im (Angst-)Traum zukommen: Der Akademische Chor „Ivan Goran Kovacic“ aus Zagreb, in Berlin bereits Mendelssohn-bewährt, erhält den Notruf: O Freunde, nicht wieder diese Töne, sondern lasst uns dieses Mal Beethoven anstimmen! Klar, den haben sie auch drauf, aber eisern. Nun ist Rettung in Sicht.
„Froh, wie seine Sonnen fliegen
Durch des Himmels prächt’gen Plan,
Fliegen beide Chöre endlich
Am Karfreitag abend an.“
Mit Lufthansa, über Frankfurt. Die Japaner treffen allerdings mit Verspätung ein und gelangen in ihr Hotel genau 24 Stunden nach der Abreise, aber nur acht Stunden vor Probenbeginn; unter ihnen sind nicht wenige, die wenn nicht die Uraufführung so doch die japanische Erstaufführung von Beethovens Neunter mitgemacht haben könnten. Es hilft nichts, die Probe muss um eine Stunde verkürzt werden. Und am Abend soll bereits die erste Aufführung steigen! Professor Gülke ringt um seine Fassung. Aber dann trudeln sie ein, die jugendlichen Kroaten, die reiferen Japaner, dazu einige Berliner Chor-Freaks, und es geschieht ein kleines österliches Musikwunder:
„Ludwigs Zauber binden wieder,
Was Nationen streng geteilt;
Alle Menschen werden Brüder...“
Na ja, Sie wissen schon. Der reichlich gemischte Chor passt mit Mühe und Not auf die Podien – aber singt, als sei er in dieser Besetzung seit Wochen einstudiert worden. Die Solisten geben ihr Bestes, das LandesJugendOrchester leistet Beachtliches, und Peter Gülke führt alle mit sicherer Hand und „freudig, wie ein Held zum Siegen“. Das Publikum, das am Ostersonntag das Konzerthaus bis auf den letzten Stehplatz füllt, „mische seinen Jubel ein“ und tut es auch. Ausgiebig. Fazit:
- Wir sind noch einmal davon gekommen!
- Es lebe die deutsch-japanisch-kroatische Freundschaft!
- „Klassik is cool“, wie ein Berliner Slogan lautet, und die Neunte – einfach krass!