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Sven Ferchow. Foto: Selfie
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Jesus und Maria

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Ferchows Fenstersturz 2022/04
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Niemand hat ja wohl ernsthaft verlangt, dass Sie sich bei der Berufswahl Ihrer Kinder oder Enkel einmischen. Aber ganz ehrlich. Da haben Sie sich sauber blenden lassen: Bushido bekommt den Integrationsbambi, Bushido rappt mit Karel Gott, und durch sämtliche Jugendzentren des Landes zogen Horden an Nachwuchs-Rappern, die mit Beistand der Arbeitsagentur versicherten, erst durch Rap-Musik das Image des Mobbing-Opfers abgelegt zu haben.

Jetzt waren sie diejenigen, die den anderen das Pausenbrot abzockten. Was sollte schief gehen, wenn die Kids Rap- Musiker werden? Als langjähriger Beobachter der Szene muss ich Sie warnen. Augen auf bei der Berufswahl Ihrer Nachkommen. Auch Rapper will gelernt sein.

Aber vermutlich ist es dafür zu spät. Sie haben Ihre Sprösslinge längst verloren. Und zwar an Jesus. Klingt altmodisch. Aber die coolen Kids sagen natürlich nicht „Jesus“. Sie sagen „Gzuz“. In Lautschrift: Dschisis. Lesen Sie mal, was passieren kann, wenn der Berufsberater wegen Corona nicht mehr kommen kann.

Kristoffer Jonas Klauß ist 33 Jahre alt. Weil es mit der Selbstreflexion bereits in der fünften Klasse Brüche gibt, nennt er sich „Gzuz“. Und beginnt zu rappen: Vulgärer Brüllgesang mit schlaffem Satzbau trifft proletarische Schlagzeugbeats. Aufgelockert durch poetische Zwischenrufe („Halt die Fresse, Wichser!“). Gzuz verdient sogar Geld damit. Doch er schafft es nicht in die erste Liga der Rapper mit Clan-Zugang. Obwohl er bemüht ist: Verstöße gegen das Waffengesetz, Drogenbesitz, versuchter Diebstahl und die Inthronisation jedes Rappers: Körperverletzung. Zweifellos alles nur Missverständnisse. Irrtümlich wurde Gzuz dann wegen der vermeintlichen Verwechslungen zu 18 Monaten Haft plus Geldstrafe verurteilt. Wie, verurteilt? Als Rapper? Voll die Demütigung. Da johlen die Bushidos der Nation. Das war es freilich mit der Karriere von Gzuz. In völliger Verzweiflung verstößt Gzuz dann gegen die Rap-Omerta. Und legt gegen die Verurteilung Berufung ein. Gibt zu, eine Frau gewatscht zu haben. Immerhin ohne Schlagring und auf das jesuanische „die halte auch die andere Wange hin“ verzichtend. Doch jetzt wird es windelweich. Fremdschämen im Rapper-Milieu. Gzuz soll sich zweimal bei der Frau entschuldigt haben. Schon bei einer einzigen Entschuldigung droht jedem Rapper die Inquisition.

Aber zweimal? Warum nicht gleich Arafat Abou-Chaker bei Anne Will des Waffenhandels beschuldigen? Doch die Spirale geht unerbittlich nach unten. Denn das Gericht verknackt ihn im März während der Berufungsverhandlung zu acht Monaten Knast. Strafrabatt inkludiert. „Damit Dschisis weich fällt“, höhnt es durch die Rap-Posse. Und wohl auch, weil Gzuz vor dem Urteil wimmerte, „er sei heute ein anderer Mann“. Und noch mal ein anderer, wenn er wieder aus dem Knast kommt, prophezeien böse Rap-Zungen. Es ist viel schief gegangen bei Dschisis. Vielleicht nehmen Sie Ihren Kindern nun das schief sitzende Rap-Cap ab und sagen ganz pädagogisch: Du, wir müssen mal reden.

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