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Journalismus kills music

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Erinnert sich noch jemand an die RAF? Genau, die Jungs von den Postamt-Plakaten. Lang ist’s her. Damals, als langhaarige Kids von mitfühlenden Rentnern noch liebevoll als Bombenleger betitelt wurden. Und jeder, der die falschen Zeitschriften kaufte, automatisch zum Sympathisanten wurde. Ach ja, die frühen Achtziger. Schöne einfache Welt.
Doch jetzt hat das Achtziger-Revival auch die deutschen Phonoverbände erreicht. Im Sommer feierten diese in einer Presseerklärung eine einstweilige Verfügung gegen den russischen Online-Musikanbieter AllofMP3. Das Gericht hatte entschieden, dass AllofMP3 in Deutschland keine Musik mehr zu Dumping-Preisen anbieten darf.

Die deutsche IFPI-Sektion ging allerdings gleich noch ein Stück weiter. Auf die Entscheidung des Gerichts müssten sich auch diejenigen einstellen, so die IFPI, „die für solche illegalen Online-Angebote Werbung treiben oder sie anderweitig unterstützen, indem sie beispielsweise ‚Gebrauchsanleitungen’, positive ‚Testberichte’ oder Links bereitstellen.“

Sympathisant des Bösen sein ist damit heute einfacher denn je. Wer einen Link zu AllofMP3 auf seiner Website unterbringt, hilft den Russen – selbst, wenn er AllofMP3 kritisch kommentiert. Noch viel übler sind natürlich Testberichte. Die IFPI zitierte dafür als Beispiel einen Artikel des Südwest-Rundfunks SWR. Der hatte AllofMP3 in einem Test attestiert, einen eher mauen Katalog, aber ganz beeindruckende Technik zu besitzen. Dass solch ein positiver Testbericht nichts anderes sein kann als Werbung – das sagt viel über das Journalismus-Verständnis der Musikindustrie aus.

Keine Frage: Journalisten sind in der Branche verhasst. Insbesondere Musikjournalisten. Sie gelten als Miesmacher und Schmarotzer. Leute, die gerne Musiker geworden wären, aber nicht das Zeug dazu hatten – und deshalb heute die Alben anderer Bands in Grund und Boden kritisieren. Jedenfalls, wenn man sie nicht großzügig besticht. Zum Beispiel mit Frei-CDs und Gästelistenplätzen. Oder Alkohol und Drogen. So diente die Popkomm lange Zeit dazu, möglichst viele Schreiberlinge in möglichst kurzer Zeit betrunken zu machen. Irgendwer würde dann schon was Positives zu Papier bringen. Werbung eben. Doch dann kamen Kazaa & Co., und mit den Plattenverkäufen schrumpften auch die Marketing-Budgets. Die ewige PR-Party hatte ein Ende. Statt dessen wurde plötzlich der erhobene Zeigefinger bemüht. Bei der schreibenden Zunft stieß man damit auf taube Ohren. Eine verständliche Reaktion. Da bekommt man jahrelang tonnenweise CDs frei Haus – und dann heißt es plötzlich, Musik dürfe nicht umsonst sein? Mit der Generation Kazaa tauchten zudem Technik-Journalisten auf, die über Tauschbörsen und Brenn-Programme schrieben. Spätestens da war Vertretern der Industrie klar: Journalismus kills music. Und man begann, Rachepläne zu schmieden.

Zuerst ging man mit Abmahnungen und Klagen gegen Verlage und Webseiten vor, die über Kopierschutz-Knacker berichteten. Jetzt geht es gegen schreibende Sympathisanten des AllofMP3-Angebots. Neben dem SWR bekamen auch eine Reihe von Computerzeitschriften und Website-Betreibern Aufforderungen, Links zu AllofMP3 sofort zu entfernen. In einigen Fällen begnügte sich die IFPI nicht mit bösen Worten und legte gleich noch eine 4.000 Euro teure Abmahnung bei.

Genützt hat all dies natürlich gar nichts. Dank der IFPI-Kampagne ist der Name des Download-Portals in aller Munde. AllofMP3 kann dies nur recht sein. Im September 2006 tritt in Russland ein neues Urheberrecht in Kraft, das den Verkauf von MP3s nur noch mit den auch hier zu Lande üblichen Lizenzen erlaubt. Die Tage der Billig-Downloads sind damit gezählt.

Das weiß man natürlich auch bei der deutschen IFPI. Trotzdem entschieden sich die Branchenvertreter bewusst gegen Abwarten und Totschweigen. Viel besser als ein isolierter Bösewicht ist eben einer, mit dem andere diskreditiert werden können. Langhaarige Kids zum Beispiel. Oder nichtsnutzige Journalisten. Die ganze Sympathisanten-Bande eben. Wie damals in den Achtzigern.

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