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Klassikzirkus vor dem Kölner Dom: Marko Martinovic beim Finale des Wettbewerbs Eurovision Young Musicians. Foto: Thomas Hanses (EBU)
Klassikzirkus vor dem Kölner Dom: Marko Martinovic beim Finale des Wettbewerbs Eurovision Young Musicians. Foto: Thomas Hanses (EBU)
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Kanonenfutter für den Klassikzirkus

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Nachschlag 2016/10
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Die Klassik macht auf ESC: Beim Finale des Eurovision Young Musicians (EYM) in Köln gewann der polnische Saxophonist Lukasz Dyczko den mit 10.000 Euro und einem Konzertengagement beim WDR Sinfonieorchester dotierten ersten Preis. Auf Platz zwei (7.000 Euro) und drei (3.000 Euro) folgten der tschechische Pianist Robert Bílý und der österreichische Kontrabassist Dominik Wagner. Der deutsche Teilnehmer, der Hornist Raul Maria Dignola, ging leer aus.

Alle der insgesamt elf Teilnehmer gaben ebenso wie das WDR Sinfonieorchester unter Clemens Schuldt ihr bestes auf dem Roncalliplatz in Köln und spielten ebenso musikalisch wie überaus virtuos. Durch das undurchsichtige Verfahren und die hanebüchene Konzeption des EYM, die geradezu groteske Konstruktionsfehler aufweist, führte sich dieses nach allen Regeln der Kunst medial inszenierte und von Tamina Kallert routiniert moderierte Spektakel allerdings selbst ad absurdum.

Denn mehr als perfektes Mainstream-Entertainment wurde hier nicht geboten. Auf der Strecke blieb dabei die Glaubwürdigkeit der klassischen Musik. In seiner Begrüßung hatte Tom Buhrow, Intendant des gastgebenden WDR, Veranstaltungen wie diese einen „Teil unseres vornehmsten Kulturauftrags“ genannt. Doch angefangen mit der Geigenschnulze, die Co-Moderator Daniel Hope zu Beginn spielte, bis zum gemeinsamen Walzer von Jury und Kandidaten am Schluss war diese Veranstaltung vor allem eines: ein Marketinginstrument, das dazu dient, neues massenkompatibles Kanonenfutter für den Klassik-Zirkus zu finden. Im Vorfeld war das mediale Spektakel ausgesprochen vollmundig beworben worden („So haben Sie Klassik noch nie gehört“). Letztendlich machte man aber genau den gleichen Kardinalfehler, der der gesamten Klassikindustrie oft genug vorgehalten wird: Neue und unverbrauchte Talente spielen alte Musik von toten Komponisten. Hat man Klassik wirklich noch nie so gehört? Wohl kaum.

Vollends zur Farce wurde die Veranstaltung durch den Austragungsmodus: Da trat etwa folkloristisches Instrumentarium wie die Tambura Bisernica, mit der der kroatische Teilnehmer Marko Martinovic an den Start ging, gegen klassische Musikinstrumente an. Vorrunden gab es nicht und auch die Qualifikation für das Kölner Finale wurde je nach Land in einem höchst uneinheitlichen und zuweilen auch undurchsichtigen Modus entschieden. Um über Sieg und Niederlage zu richten, hatte die unter anderem mit der Trompeterin Tine Thing Helseth und dem Tubisten Andreas Martin Hofmeir überaus prominent besetzte fünfköpfige Jury in Köln gerade einmal sechs Minuten, die Open Air und zudem noch elektronisch verstärkt absolviert wurden. Die Teilnehmer traten allen Ernstes mit so diametral unterschiedlichen Stücken wie einer Bearbeitung der „Meditation“ aus Jules Massenets Oper „Thais“ und der „Carmen Fantasie“ von Franz Waxman gegeneinander an. Letztendlich wurden hier Äpfel mit Birnen verglichen, ein im klassischen Bereich höchst ungewöhnlicher, um nicht zu sagen unseriöser Weg. Als ernstzunehmenden Wettbewerb kann man eine Veranstaltungen wie den EYM wohl kaum bezeichnen. Wenn das die Zukunft der Klassik sein soll, dann gute Nacht!

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