Im zweiten Teil seines „Berichts zur Bühnenstruktur“ hatte Christoph Stölzl, seinerzeit Kultursenator der Berliner CDU/SPD-Koalition, dem Abgeordnetenhaus von Berlin am 12. Oktober 2000 Vorschläge zu Einsparungsmöglichkeiten, Rechtsformänderungen und organisatorischen Zusammenlegungen unterbreitet.
Im zweiten Teil seines „Berichts zur Bühnenstruktur“ hatte Christoph Stölzl, seinerzeit Kultursenator der Berliner CDU/SPD-Koalition, dem Abgeordnetenhaus von Berlin am 12. Oktober 2000 Vorschläge zu Einsparungsmöglichkeiten, Rechtsformänderungen und organisatorischen Zusammenlegungen unterbreitet.Keiner dieser Vorschläge erregte die Intendanten der großen deutschsprachigen Opernhäuser mehr als Stölzls Versuch, die „künstlerischen Profile“ der drei staatlichen Berliner Opern zu definieren. Als „unsinnig“, ja „schädlich“ und „in wirren Köpfen entstanden“ geißelten die Opernchefs von München, Stuttgart und Zürich, die am 27. Oktober 2000 im Großen Sendesaal des SFB zu einer öffentlichen Diskussion des Stölzl-Papiers gekommen waren, dessen Ansätze, den drei Häusern bestimmte Aufgaben zuzuweisen und „die Schärfung der dramaturgischen Profile“ zu fordern.So sollte beispielsweise die Deutsche Staatsoper ihre künstlerischen Schwerpunkte auf Vorklassik, Klassik und frühe Romantik legen, die Deutsche Oper sich auf die große Oper des 19. Jahrhunderts und die Komische Oper konsequent an Felsensteins Musiktheater anknüpfen.
Sir Peter Jonas, General der Bayerischen Staatsoper, nahm das Grundgesetz in und kein Blatte vor den Mund: „Zum ersten Mal seit der Reichsmusikkammer versucht der Staat, die Kunst zu gängeln, indem er den Häusern vorschreibt, wer welche Stücke zu spielen hat.“ Ein „Künstlerkapitän“ sei der Intendant, der allein den Kurs bestimme; „ziemlich militärisch wie bei der Marine“ müsse es im Theater zugehen.
Die Kapitäne der Panzerkreuzer auf den vergleichsweise ruhigen Gewässern des deutschsprachigen Südens hatten gut reden: Zum einen vergaßen sie zu erwähnen, dass es in den Großstädten mit mehreren Opernhäusern profilierende Arbeitsteilung durchaus gibt (Staatsoper und Gärtnerplatztheater in München, Staatsoper und Volksoper in Wien), zum anderen schossen sie aus vollem Rohr Nebelgranaten – Breitseiten, um das Auftauchen eines Themas zu verhindern, das noch am wenigsten das der Großstadt-Theater, wohl aber das vieler Stadttheater ist: Muss es im Theater wirklich wie bei der Kriegsmarine zugehen?
Nicht die „Kollektive“ oder die „mitbestimmte“ Theaterleitung der 70er-Jahre sind das gefürchtete Thema, sondern die Frage, ob allein der Intendant befindet, ob und wie er seinen „Öffentlichen Programmauftrag“ erfüllt. Ob es nur das Mittel gibt, seinen Vertrag nicht zu verlängern, wenn er erfolgreich sein Haus leer- und sein Defizit einspielt, und wenn der zuständige Schulstadtrat oder der städtische Bildungsdezernent verlauten lässt, er lege auf Zusammenarbeit mit dem Theater keinen Wert mehr, da weder der Spielplan noch die oft von Dekonstruktionen geprägten Inszenierungen mit dem Bildungsauftrag der entsprechenden städtischen Einrichtungen in Übereinstimmung zu bringen seien. Wer Fidelio nicht kenne, könne mit einem Florestan wenig anfangen, der auf einem Heizkörper in der Reichskanzlei sitzt und sein Kerkerelend besingt.
Es ist bedauerlich, dass es den „Kapitänen“ seinerzeit gelungen ist, die Debatte darüber abzuwürgen, ob ihnen die Gesellschaft nicht auch einen Kultur- und Bildungsauftrag erteilt hat, um „die kollektive Erinnerung unserer Kultur wachzuhalten und weiterzugeben“ (John Dew) und ob das zivile Publikum nicht mit auf der Brücke sitzt und „die Chance haben will, sich in einer Geschichte zu erkennen“ (Jürgen Flimm). Das sind Fragen, die sich heute weniger denn je werden unterdrücken lassen.