Der neue Geschäftsführer der Vereinigung deutscher Opernchorsänger und Bühnentänzer (VdO), Tobias Könemann, kommentiert in seinem Editorial der soeben eraschienenen Ausgabe von "Oper & Tanz" die aberwitzige Steuerpolitik der Bundesregierung. Sind die kommunalen Kultur-Finanzen noch zu retten?
Die neue Bundesregierung plant immer weitere Steuergeschenke für die Verursacher der Wirtschaftskrise und gräbt dafür den Kommunen, die die Hauptlast der Kulturfinanzierung tragen und ohnehin mit Milliarden verschuldet sind, weiter das Wasser ab – statt beispielsweise einmal die Idee weiterzuverfolgen, im Interesse des Gemeinwohls eine „bad city“ zur Entschuldung der Gemeinden als Gegenstück zur „bad bank“ zu gründen. Der Glaube, man könne durch Kürzungen der Kulturhaushalte, die in vielen Großstädten gerade einmal wenige Promille der Schuldenlast betragen, zur Sanierung der Gemeindefinanzen beitragen, ist nicht naiv, sondern scheinheilig.
Mit mindestens 3 Mrd. € will der Bund die WestLB stützen, nachdem diese sich wie die meisten Banken in den letzten Jahren in blindem Gewinnstreben gründlich verspekuliert hat. Diese Summe entspricht dem 1 1/2-fachen dessen, was die gesamte öffentliche Hand in einem Jahr für sämtliche Theater Deutschlands aufbringt. Das Verursacherprinzip wird hier offenbar in der Weise umgedeutet, daß derjenige, der den wirklichen Schaden hat, nämlich der Steuerbürger, die Verursacher des Schadens, nämlich diejenigen, die ohne jedes Augenmaß und ohne volkswirtschaftliche Verantwortung mit irrealen Werten spekulieren, unbegrenzt zu subventionieren hat – die genaue Verkehrung dessen, was der Begriff „Marktwirtschaft“, die heilige Kuh derer, die diese Subventionen hemmungslos in Anspruch nehmen, eigentlich einmal bedeutete.
Nach der Abwrackprämie zur Stützung der Automobilindustrie soll nun zur Abwechslung dem Beherbergungsgewerbe – übrigens gegen den erbitterten Widerstand vieler Länder – ohne erkennbaren Grund und in völliger Abkehr von der bisherigen Steuersystematik das Privileg des reduzierten Umsatzsteuersatzes von 7% eingeräumt werden, ein Geschenk, das den Fiskus im Jahr ebenfalls rund eine Milliarde € kostet und zudem – wegen des entsprechend verminderten Vorsteuerabzugs – die restliche Wirtschaft sogar belastet. Wo die gesellschaftspolitische Förderungswürdigkeit von 5-Sterne-Hotels liegt, bleibt im Dunkeln.
Durch solche Maßnahmen werden die Finanzen von Ländern und Gemeinden, die bislang allein für die Theaterfinanzierung verantwortlich sind, systematisch ausgetrocknet. Und der Bund kann sich angesichts dessen nicht darauf hinausreden, Kultur sei Ländersache. Er ist der Herr der Gesetzgebung zu praktisch allen quantitativ relevanten Steuern. Und was die angebliche soziale Komponente angeht: Ist ein Arbeitnehmer an der Oper weniger wert als ein Arbeitnehmer bei Opel? Und haben nicht die Theater in den vergangenen Jahren auf Druck der Politik bereits 1/5 ihrer Mitarbeiter „freisetzen“ müssen? Ist am Ende Kunst strafbar?
Auch das Argument, in der heutigen Zeit könne eine Gesellschaft sich eine so vielfältige Theaterlandschaft wie die unsere einfach nicht mehr leisten, verblasst schnell, wenn man bedenkt, daß die Gesamtausgaben der öffentlichen Hand für die Kulturfinanzierung in Deutschland mal gerade 99,10 € pro Einwohner betragen. In Frankreich beispielsweise liegen sie bei 205 €.
Nicht die immer weitere Reduzierung der Brosamen, mit denen unser Gemeinwesen seine Kulturinstitutionen finanziert, kann die öffentlichen Finanzen und damit unsere Währung und damit wiederum den Wert dessen, was wir „Normalbürger“ uns mühsam erspart haben, retten, sondern allein eine wirksame Disziplinierung derer, die auf Kosten der Allgemeinheit Milliardengewinne und Millionenprämien einstreichen, sowie eine breit angelegte Strategie zum solidarischen Management der Defizite aller öffentlichen Haushalte.
Tobias Könemann