Die Idee war vor allem gut gemeint – und wir alle wissen seit dem legendären Song von „Kinderzimmer Productions“: Es ist damit das Gegenteil von gut. Die Idee: kulturelles Kapital durch Kapital erzeugen, indem man die Menschen in Deutschland ab Volljährigkeit mit einem staatlichen Kulturstarterkapital ausstattet.
200 Euro sollen einmalig pro Individuum für den Zeitraum von zwei Jahren zur Verfügung gestellt werden, damit die Herauswachsenden an etwas partizipieren können, was ihnen die Gesellschaft zuvor nicht von sich aus freiwillig und kostenlos bereitgestellt hatte – außer gegebenenfalls in der Form von schulischem Unterricht, soweit dieser überhaupt halbwegs regulär hat stattfinden können. Diese Idee vermarktet man als sogenannten „KulturPass“ – soweit, so Folklore. Nomen ist Omen auch hier. Denn ohne Pass kommst Du hier nicht rein, also in die „Kulturwelt“.
Welches Visum man mit diesem Pass erhält? Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, Claudia Roth, möchte auf keinen Fall, dass diese Investitionen bei den großen Playern auf dem Kulturmarkt, wie etwa Streamingplattformen, landen. Dem Kulturbevormundungsministerium schweben vielmehr als Zuwendungsempfänger*innen regionale Kultureinrichtungen vor wie „Kinos, Theater, Konzerthäuser, Museen, Gedenkstätten, Kulturzentren, Parks und Schlösser oder Clubs“.
Ja, klar, da steht jemand voll mitten im Leben, Frau Kulturstaatsministerin. Gehen Sie mal in die Altmark oder in das Emsland. Nach der sechsten Moorwanderung oder der vierten Sternenerkundung ist dann auch schon schnell Schluss, sofern man dafür beispielsweise im ersten, zweiten oder dritten Ausbildungsjahr zur Konditorin oder zum Krankenpfleger überhaupt Zeit findet.
Wichtig ist in jedem Fall, dass man die gerade Volljährigen eben nicht für voll nimmt, sondern denen zeigt, was „echte Kultur“ und „echtes kulturelles Erbe“ ist. Vor allem zeigt man ihnen, dass man diesen Jugendlichen etwas abverlangen kann, was die Politik seit Jahren aus Feigheit unterlässt. Man will den vorgeblichen Pandemiegewinnern, wie Spotify und Co weiteres Zubrot verwehren, weil man es in der Politik versäumt, diese so weit zu regulieren, damit diese selbst beispielsweise die Kulturtragenden fair entlohnten. Aber Teodor Currentzis in der Elbphilharmonie mit oder ohne Robby Williams, das wäre natürlich regionale Kulturförderung vom Feinsten. Übrigens: Das Schmuckbild auf der entsprechenden Ankündigungsseite des Kanzleramtes für den Kulturpass stammt natürlich auch nicht aus regionaler Kunsthaltung. Es ist ein immerhin lizenziertes Stockfoto, vertrieben von Getty Images, den „weltweit führenden Experten für visuelle Inhalte.“
Mit zehn kulturmoralinen Zeigefingern wird gefuchtelt, aber greifen kann man damit eher nicht so gut. Und daher auch nicht begreifen, dass man mit 18 Jahren nicht mehr solcher protektiven, einschnürenden und übergriffigen „Angebote“ bedarf. Wünschenswert wäre dagegen: Die Politik möge ihre Aufgaben mit den zur Verfügung stehenden ordnungspolitischen Maßnahmen erledigen, die Gewinnler im Kulturgeschäft wie Spotify, Apple und Amazon einfach zu steuerlicher Rechenschaft ziehen und nicht den 18-Jährigen die Funktion von Kulturinvestitionszwischenwirten aufladen. Man unternimmt noch nicht einmal den Versuch, dieses politische Versagen zu vertuschen. Der KulturPass soll nämlich „auch die Nachfrage in den Kultureinrichtungen stärken und ihnen zudem ermöglichen, neues Publikum für sich zu gewinnen“. Um die kulturelle Bildung der 18-Jährigen geht es nämlich nur am Rande, für die Schöngeister-Galerie nämlich. Daher kommt auch die Kritik des Deutschen Kulturrates nicht zu Unrecht, der das Bundeswirtschaftsministerium auffordert, „ebenfalls den Kulturpass aus seinem Haushalt zu unterstützen, damit auch digitale Angebote ermöglicht werden, wie der Kauf von Games oder digitaler Musik“. Das Bundesjugend- und das Bundesbildungsministerium fordert der Deutsche Kulturrat auf, ebenfalls den Kulturpass „aus ihrem Haushalt zu unterstützen, damit auch kulturelle Bildungsangebote (Musik-, Zeichen-, Tanzunterricht u.ä.) finanziert werden können“.
Auch bei der Umsetzung hakt es. Natürlich, denn dieses Bundeskulturministeriumskulturverständnis läuft auch auf ein bürokratisches Monstrum heraus. Von den zur Verfügung stehenden 100 Millionen Euro wird ein nicht unerheblicher Teil in die Herstellung einer App und einer Website gehen und in die Verwaltung der Akkreditierungsmaßnahmen, welche Form von Kultur – nach staatlicher Kontrolle – nun daran partizipieren darf und vor allem, welche nicht: die böse Seite der Kultur nämlich. Aber wenn man in der Grundschule in Rechnen aufgepasst hat, wird man bemerken, dass sowieso davon ausgegangen wird, dass das Geld gar nicht abgerufen wird. Bei statistisch vorermittelten 750.000 potentiellen Empfänger*innen reichen die zur Verfügung stehenden 100 Millionen Euro – π mal mc2 – nur für zirka 133,33 abgerundete Euro pro Nase und Hirn. Im schlimmsten Fall passiert deshalb gar nichts, denn noch sind die Gelder gesperrt, weil die Umsetzung des Vorhabens einfach zu viele Fragezeichen aufwirft.
Es würde mehr Respekt den Volljährigen gegenüber zeigen, wenn man diese 200 Euro grundsätzlich zur freien Verfügung stellt und gleichzeitig auf Angebote aufmerksam macht, die vielleicht unter dem Radar der möglichen Verwendungsmaßnahmen laufen. Denn was man nicht kennt, kann man auch nicht wahrnehmen. Aber das würde ja tatsächlich Arbeit für das Bundeskulturministerium bedeuten. Und ein Nachdenken und vor allem ein Vertrauen in diese Jugend als kulturtragende und nicht bloß -ertragende.