Vor etwa einem halben Jahr hat Radio Berlin Brandenburg (rbb) seinem Redakteur für Neue Musik, Martin Demmler, fristlos gekündigt. Man warf ihm Urkundenfälschung vor, denn er hatte unter falschem Namen ein paar Briefe an Intendanten der ARD geschickt. Darin ging es um eine Anmoderation seines Musikchefs, Christian Detig, der Goebbel’sche Rundfunktheorien für die ARD-Intendanten reklamierte. Detig selbst distanzierte sich eher halbherzig davon, denn wer will schon mit dem Geiste nationalsozialistischer Gedanken in Verbindung stehen. Die angesprochenen ARD-Intendanten schwei-gen sich bis heute zu dieser Frage aus. Zu dementieren gibt es anscheinend nichts. Statt dessen schickte man lieber den unliebsamen Redakteur – Demmler, nicht Detig – vor die Tür. Das wundert nicht. Das Arbeitsgericht Berlin gab nun in erster Instanz Demmler Recht, der sich gegen die Kündigung wehrte. Selbst Musikchef Detig soll die Kündigung als zu harte Maßnahme empfunden haben. „Dass Demmler hier auf dem Stuhl sitzt, ist unser aller Schuld. Aus Angst hat keiner aus der Redaktion auf das Goebbels-Zitat reagiert“, zitiert die FAZ eine Stimme aus dem Kollegenkreis von Martin Demmler. Ist der Kulturfunk endgültig am Ende, regiert da ein selbst verordneter Maulkorb, Panik und Angst gar? Was herrschen im Rundfunk eigentlich für Sitten, allzumal im öffentlich-rechtlichen. Den aktuellen Programmentwurf des öffentlich-rechtlichen Kulturfunks hat der NDR-Programmdirektor Gernot Roman gewohnt feinsinnig erfasst: „Auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil.“ Was für eine Sprache verkündet da fortgesetztes Unheil.
Der rbb ist kein Einzelfall. Ähnliches konnte man von Radio Bremen vor einigen Jahren hören. Kann man noch denen trauen, Kulturfunk zu machen, die untereinander offenbar in Angst und Schrecken leben und jeder zivilisierten Kommunikation entbehren?
Der Schuss ging für den rbb nach hinten los. Nicht nur zeigten sich Komponisten wie Manfred Trojahn, Wolfgang Rihm und Aribert Reimann in einem offenen Brief empört, jetzt kritisieren auch der Deutsche Musikverleger-Verband und der Verband Deut-scher Bühnen- und Medienverlage in einer Pressemitteilung: „Öffentlich-Rechtlicher Rundfunk missachtet Kulturauftrag“ und nehmen die Entlassung Martin Demmlers zum Anlass ihres Unmuts. Das kommt ein bisschen spät. Dort liest man: „Das vollmundige Motto des rbb ,Hier ist Kultur‘ taugt nicht einmal mehr als Etikett, den Schwindel zu kaschieren, der wortwörtlich auf Kosten der Hörer und ihrer berechtigten Erwartungen an einen öffentlich-rechtlichen Sender betrieben wird.“ Richtig, schön, dass sich das auch bis zu den Musikverlegern herumgesprochen hat, dass der Musikfunk abdudelt. Vermutlich haben ein paar ihrer Mitglieder festgestellt, dass durch die „Reformen“ weniger Geld in die eigenen Kassen (und die der Urheber) fließt.
Die Kulturwellen von NDR und rbb müssen mit weiter sinkenden Hörerzahlen leben. Aber als Kulturbeauftragte der Öffentlichkeit wissen die neuen Schöngeister bestens, wie man das verklären kann. Man fragt sich, wer ist dafür verantwortlich, dass der Kulturfunk in manchen Regionen sich so sehr gängelt. Ist es nur ein ökonomisch-populistischer Reformatismus, weil man ja ab und an sich verändern oder modernisieren will? Und was bedeutet es, wenn gerade die E-Musikredaktionen da einen seltsamen Eifer entwickeln, sich selbst um ihre Kulturvielfalt zu kastrieren.
Da sitzen gestandene Rundfunkredakteure wie beispielsweise Wilhelm Matejka nun an den Schalthebeln der Programme und vergessen alles, was sie einmal selbst anders, vor allem besser gemacht haben. Matejka kann auch nichts Merkwürdiges daran finden, dass in seinem Programm bis 18 Uhr nicht mehr die Moderatoren die erklingende Musik selbst wählen. Ach, wenn die Moderatoren wenigstens ihre Musikchefs, Programmdirektoren und Intendanten wählen könnten.
P.S.: Der aktuelle Zustand der Kulturfunkkultur wird ausführlich unter www.dasganzewerk.de dokumentiert. Die Website und die dahinter liegende Initiative sind gegenwärtig die einzig zuverlässige Quelle über die aktuellen Entwicklungen in diesem Bereich, allen Unterlassungserklärungen zum Trotz.