„Welthaltigkeit“ ist in der Geschichte der Musik ein immer wiederkehrendes und häufig heiß diskutiertes Thema. Mal schlägt es sich klangmalerisch, mal konkret, mal affirmativ, mal kritisch in Kompositionen nieder. Bei einem flüchtigen Blick durch die aktuelle Neue-Musik-Festivalszene könnte man meinen: Mehr Welt war noch nie.
Kürzlich durfte ich Zeuge einer Form von musikalischer Welthaltigkeit sein, wie ich sie selten erlebt und sofort lieben gelernt habe: Drei Musikerkollegen aus dem Ruhrgebiet ziehen nun schon im dritten Jahr von einer Trinkhalle zur nächsten, packen ihre Instrumente (zumeist Bassklarinetten) aus und spielen in oder vor dem Kiosk – beinahe überfallartig – wildestes Zeugs: eine krude Mischung aus frühem Brötzmann, spätem Halleluja und plötzlichen Testosteronschüben. Zwar geht der Verkauf von Schnaps, Shampoo und Schokoschaumgebäckbrötchen häufig einfach weiter – doch niemand kann hier ungerührt bleiben, auch nicht der im Ruhrgebiet real existierende Typ mit Trainingshose und Unterhemd, der merkt: Das hier ist Kunst am Bauch.
Die „Trinkhallentour“ ist – so viel Pathos nehme ich mir einfach mal frech heraus – eine der politisch wirksamsten Musikaktionen, die ich mir vorstellen kann: Für einen kurzen Moment wird die Gegenwart unterbrochen, wird die Utopie von friedlich-groovendem Krawall sichtbar. Keine Hipster, keine Blubber-Bohemiens, keine Reclamheftchen und Küchenphilosophen weit und breit: nur Musik – und die macht mich glücklich.