„Wir nehmen die Begriffe Kunst, Fest und Weimar wörtlich“, verkündete Christian Holtzhauer, Nachfolger von Nike Wagner beim Kunstfest Weimar, im Zuge der Vorstellung der ersten Festivalausgabe unter seiner Leitung. Das Kunstfest öffne sich wieder „allen Künsten“, bliesen die Gazetten eifrig ins selbe Horn. Allen Künsten? Wenn sich der Glossist richtig erinnert, gehört die Musik seit geraumer Zeit nicht mehr der Mathematik an. Der „Kunstbegriff“, den Christian Holtzhauer von Stuttgart mit nach Weimar bringt, scheint jedoch so grenzenlos nicht zu sein und durchaus ein Geschmäckle zu haben: Bei erster Durchsicht des Programmheftes stellt man ungläubig fest, dass Musik beim neu aufgestellten Kunstfest praktisch nicht mehr vorkommt, höchstens theoretisch – als Schreckgespenst. Das scheint nicht nur einer (offen ausgesprochenen) Aversion gegen die Programmschwerpunkte der Vorgängerin geschuldet, gegen die man sich verständlicherweise absetzen möchte. Haben wir es hier nun wieder mit der reizenden Vorstellung von Musik als elitärer „Hochkultur“ zu tun, sobald sie nix mit Feiern und Tanzen zu tun hat?
Gut. Holtzhauer ist nicht der Urenkel von Richard Wagner und von Hause aus ein Mann des Theaters beziehungsweise Theaterwissenschaftler beziehungsweise Theaterdramaturg und wir wissen nicht, ob er gerne mal ein Liedchen pfeift oder heimlich „Parsifal“ hört, aber ein bisschen Musik im Blut würde einem spartenübergreifenden Kunstfestivalintendanten schon ganz gut anstehen – man muss nicht erst zur Ruhrtriennale schielen, um festzustellen, welch herausragende Ergebnisse sowas zeitigen kann. Das Ärgerliche: Holtzhauer hat die Chance vertan, in Weimar die Musik aus den verstaubten „Klassik“-Schubladen mit raus in den öffentlichen Raum zu nehmen! Als Kunst beim Kunstfest. Das wäre wirklich neu für Weimar und die einzig richtige Konsequenz gewesen, wenn man schon die ganze Stadt programmatisch zur Kunstmeile erklärt.
Spannende Klangkunst unterschiedlichster Herkunft und Ausprägung, die auf historische und gegenwärtige Räume reagieren kann, hätte es wahrlich genug gegeben! Stattdessen ein obligatorisches Konzert des Weimarer Orchesters (das in diesem Monat wahrscheinlich sowieso stattgefunden hätte), eine Disco-Kapelle mit lustigen Perücken und etwas szenische Barock-Musik. Das war’s auch schon mit der Weimar’schen Musikkunstherrlichkeit ...
Hatte es früher durchaus tendenziös viel Liszt und Wagner gegeben, gibt es jetzt jedes Jahr (!) eine Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und gehörig Goethe auf die Mütze. So ungefähr bei jeder dritten Veranstaltung. Ja richtig, endlich hat auch das Kunstfest den alten Geheimrat und Theaterfan für sich entdeckt! Nun muss man im Weimarer Veranstaltungsjahreskalender wirklich richtig heftig suchen, bis man eine Veranstaltung ohne Goethe findet.
Weimar ist ja auch eine Touristen-Stadt und wer nach Bali fährt, will ja auch schließlich an den Strand! Hasko Weber hatte als Neu-Intendant des Weimarer Theaters ja auch keine genialere Idee, als gefühlte 5.000 Eulen nach Athen zu tragen und zum Einstand den „Faust“ zu machen. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt, dass das Kunstfest ab diesem Sommer Teil des Weimarer Theaters ist!
Dass man sich vom hochgradig gestelzten Festival-Beinamen „Pèlerinages“ verabschiedet hat, ist im übrigen nur zu begrüßen.
Mal sehen aber, wie lange es dauert, bis das „Kunstfest“ auch namentlich zum „Stadtfest“ geschrumpft ist. Wurst, Bier, Goethe, Antifa – na Wohnsinn! (Musik-)Kunst, das ist doch was für Leute, die zum Lachen in den Keller gehen …