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Kuschelkritik

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„Es gibt Kollegen, die schreiben Politikern ihre Biografien, tummeln sich auf deren Privatfeten und coachen sie für Wahlkampfauftritte. Und am nächsten Tag tun sie dann in ihren Blättern so, als wären sie unbestechliche Kritiker. Das sollten deutsche Journalisten endlich mal diskutieren.“ Starke Sätze der Fernsehmoderatorin Maybrit Illner über das „Kuscheln mit Politikern“, zitiert nach der Frankfurter Allgemeinen. Recht hat sie, sagt sich da jeder. Zu den journalistischen Grundsätzen gehört doch die kritische Distanz zum Gegenstand, und die Presse darf sich nicht von der Politik ins Schlepptau nehmen lassen!

Für den politischen Journalismus sind das zweifellos fundamentale Fragen, und die Moderatorin berührt mit ihrer Bemerkung einen wunden Punkt. Doch wie steht es eigentlich mit dem Musikjournalismus? Hält der Kritiker die nötige Distanz zu den Interpreten, Komponisten und Veranstaltern? Da wird’s heikel für unsereiner, denn – zugegeben – damit ist es nicht so weit her.

Das kann zweierlei bedeuten: Entweder sind die erwähnten Kuschelpraktiken auch hier an der Tagesordnung, oder es herrschen andere Voraussetzungen und damit auch andere Regeln. Vielleicht gilt auch beides. Die Sache ist kompliziert, und es scheint, dass die Problemstellung nicht so einfach zu übertragen ist.

Ein Argument zählt nicht: dass solche Dinge im Kunstbereich deswegen eher tolerierbar seien, weil im Gegensatz zur Politik hier ohnehin alles erlaubt sei und es nicht so genau darauf ankomme. Das hieße aber, dass der Kulturjournalist für sein Geschreibsel keine Verantwortung zu übernehmen bräuchte. Doch damit würde er auch nicht ernst genommen. Der Verleger wäre nicht zu tadeln, der dieser Art von Journalismus die Spalten radikal zusammenstreichen würde.

Die Unterschiede wären vielmehr in der Struktur der Sache zu suchen, über die berichtet wird. Im Gegensatz zu dem die Allgemeinheit verkörpernden Gefüge der politischen Institutionen ist der Musikbetrieb eine begrenzte, nur teilweise öffentlich-rechtliche Domäne, in der einzelne Personen und Institutionen durchaus markt- und meinungsbestimmend sein können. Der Markt ist nicht anonym und die Akteure kennen sich. Aus diesem Geflecht individueller Beziehungen kann sich der Musikkritiker nicht heraushalten, ohne die Bodenhaftung in der Szene zu verlieren.

Dies gilt zumal für die zeitgenössische Musik, die unter der Käseglocke der Subventionspolitik ein weitgehend abgeschottetes Dasein fristet. Bei aller individueller Konkurrenz fühlen sich doch alle den gleichen Interessen – dem Erhalt der Aufführungsmöglichkeiten, sprich: der Subventionen – verpflichtet. So unterstützt man sich gegenseitig. Der Neue-Musik-Betrieb ist eine typische Klientelwirtschaft.

Der Kritiker, der sich darin bewegt und mit publizistischen Mitteln um die Bestandssicherung kämpft, wird zu ihrem Fürsprecher nach außen. Er ist geneigt, seine kritischen Gedanken dem guten Zweck zu opfern und will nicht den Nestbeschmutzer spielen. Es wäre aus seiner Sicht auch unlogisch, sich selbst und den andern die Existenzgrundlage wegzurezensieren. Abgesehen davon gibt es einen Unterschied zwischen einem Politiker oder Wirtschaftsführer und einem Komponisten: Diesem muss der Journalist nicht kritisch auf die Finger schauen, ob er krumme Dinge dreht. Das für die Politik so typische Grundmisstrauen fehlt hier also. Es wäre bestenfalls bei bestimmten Veranstaltern angebracht.

Ein weiterer Aspekt kommt hinzu: Anders als die weitgehend nach anonymen Regeln funktionierende Wirtschaft beruht die Kunst auf der Weitergabe von Wissen und Können zwischen Einzelpersonen: Lehrer-Schüler, Komponist-Interpret. Auch Komponist-Kritiker. Die Informationen, die zum tieferen Verständnis eines neuen Werks nötig sind, kann sich der Kritiker nicht aus dem Internet oder in der Pressekonferenz holen. Manches erschließt sich zwar durch die Partiturlektüre. Doch meist ermöglicht erst die einfühlsame Nähe zum Komponisten oder Interpreten jene Einblicke in das künstlerische Denken, die beim Leser dann den Eindruck einer intimen Sachkenntnis hervorrufen.

An einen Verriss ist unter diesen Voraussetzungen natürlich nicht zu denken. Wer würde schon das Vertrauen eines Komponisten missbrauchen, indem er die persönlichen Auskünfte, die oft genug Bekenntnischarakter haben, in der Öffentlichkeit ins Negative drehen würde? In die Abhängigkeit begibt sich der Kritiker also gleichsam anstandshalber. Solange diese Freundschaftlichkeit nicht zur Kumpanei ausartet, ist dagegen nicht viel zu sagen.
Problematischer als die Nähe zu den Künstlern ist allemal die Nähe zu Wirtschaftsbetrieben wie Veranstaltern oder Plattenproduzenten. Wo bei der Gratisbemusterung mit CDs, beim Kneipenbesuch mit dem Veranstalter, bei der Übernahme der Hotelkosten durch ein einladendes Festival die Kooperation in Käuflichkeit umschlägt, ist oft nicht genau auszumachen. Ob er diese Annehmlichkeiten mit Kuschelkritik und fadenscheiniger Empfehlung quittieren will, muss sich der Kritiker genau überlegen. Das Publikum wird es ohnehin über kurz oder lang merken.

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