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Musikalisches Versteck. Foto: Hufner
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Lachen – mit Böhmermann: eine Wertegemeinschaft

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Nachschlag 2017/07
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In den MusikTexten 151 fand sich unter dem Titel „Komponieren am Krater“ ein leidenschaftlich vorgetragenes Plädoyer des Komponisten Helmut Lachenmann für das autonome Kunstwerk, die abendländische Tradition und eine Philippika gegen einen neuen Konzeptualismus, der sich mittels einer postulierten „gehaltsästhetischen Wende“ vom Ballast eines traditionellen Kunstbegriffs abwendet und der Musik zu mehr gesellschaftlicher Relevanz verhelfen will.

Der mit Verve vorgetragene Beitrag, kompromisslos auch im Einsatz für das kunstmusikalische Erbe, löste allerdings nicht das Echo aus, das zu erwarten gewesen wäre. Einzig Max Nyffeler ging in der nmz im März 2017 auf Lachenmann ein. Ein Generationenproblem? Lesen die einen – die Alten – nur noch Print und die die anderen – die Jungen – nur noch Blogs und deshalb gar nichts mehr von- und übereinander? Das wäre zu kurz gegriffen, meint unser Autor Bojan Budisavljevic und überprüft/überträgt Lachenmanns Thesen an der Realität der Pop-Charts, der ECHO-Preisverleihung und den Satirebeiträgen eines Jan Böhmermann – einer anderen Musikkultur.

Wer sich Gedanken macht über die Wirkungs- und Gedankenlosigkeit des deutschen Musikfeuilletons (vor allem im Vergleich zu den spekulativen Höhen und gedanklichen Tiefen in vielen Beiträgen der Qualitätspresse zu Phänomenen der Popkultur etwa von Dath, Balzer und anderen), der wundert sich oder eben nicht über das tosende Schweigen zu Helmut Lachenmanns ebenso fulminanter wie wohlüberlegter Abrechnung mit gegenwärtigen Zuständen im Kunstmusikbetrieb, erschienen in den MusikTexten im letzten November. Seitdem, bis auf Max Nyffelers nicht minder bissigen Relaunch der Lachenmann’schen Gedanken in ebendieser Zeitung im März, kein öffentlicher Ton, nirgends. Auch in den einschlägigen Netzen nicht. Dabei geht Lachenmanns Text buchstäblich alle an, Komponisten, Ausführende, Hörende und allerhand sonstige „Kulturverantwortliche“, geht es ihm von avanciertester und sich den jeweils gängigen Zeitläuften verweigernder Warte auf um nichts weniger als die Annahme des schweren Erbes, den Friedensschluss mit der Musik-, Kultur-, Menschen- und Erlösungsgeschichte, gerade vor dem Hintergrund all der Fehlleistungen, Verbrechen und sons-tigen Sünden.

Das ist erstaunlich und wirkt befreiend, und es erinnert an den Rat, den der slowenische Psychoanalytiker und Philosoph Slavoj Žižek dem kapitalistisch neurotisierten Subjekt einst mitgab: „Liebe dein Symptom wie dich selbst. Du hast kein anderes.“ Die Annahme dessen, was einem nolens volens mitgegeben wurde, des Schönen wie des Schrecklichen, ist Grundlage für Liebe und Erkenntnis zugleich. Von da aus mag es dann mitunter auch weitergehen, und vor allem: bewusster, reflektierter.

Vor solch einem Reflexionshorizont, vor solch einer überlegten Wertschätzung für Ressourcen und Errungenschaften jüngst wie längst vergangener Musik, „Blitzschläge der Musikgeschichte“ und „Preziosen unserer bürgerlichen Kultur“ (hier spricht der Citoyen!), verblasst und verkommt vieles von dem, was heute gedacht, geschrieben und gespielt wird zum Pfuschen an Symp-tomen der unterschiedlichsten gegenwärtigen Miseren in Kunst, Kultur, Bildung, Gesellschaft oder sonstwo. Ohne das Große Ganze bemühen zu müssen, behauptet Lachenmann einen gemeinsamen, wiewohl vielfach gebrochenen Erfahrungshorizont der Kunstmusik des Abendlandes als klingende Träume inmitten der Traumata.

Das will anscheinend keiner hören im gesamten Musikgeschäft – und auch das nicht mit der Liebe zur Musik als „Lichtblick des Menschenbildes von der frühen Mehrstimmigkeit bis in unsere Gegenwart“, ja auch als Liebe zu Schumanns „Träumerei“ im Stalingrad-Denkmal: „Autonome Musik, wie kitschig arrangiert auch immer, antwortet in zeitloser Unschuld und Intensität auf eine ihr fremde Realität, diese an die Utopie unserer Menschlichkeit erinnernd.“ Selten in letzter Zeit ist aus berufenerem Munde derart klar über den vielerorts gern beschworenen Wert der Musik gesprochen worden.

Oder vielleicht doch, nur ganz anders und anderswo, nicht in Print, sondern im Internet, dementsprechend mit medialer Ironie gebrochen, ex negativo und quasi als Postkapitalismuskritik mit nicht minder ätzender Kritik an Symptomen und Pfuschern. Es war, mit Verlaub auch an Helmut Lachenmann, der sich über diese Nähe wundern dürfte, Jan Böhmermann in seiner YouTube-Sendereihe „Eier aus Stahl“, der im April pünktlich am Vorabend der ECHO-Preisverleihung mitten im Herzen der Finsternis das Fähnlein der Aufrechten und der Werte hochhielt: zu sehen auf YouTube unter „Max Giesinger und die deutsche Industriemusik“ (NEO Magazin Royale).

Auch der Nachschlag „Popperlapop“ von Martin Hufner in der nmz 5/17 zählte zu den wenigen Ausnahmen vom branchenweiten Schweigen.

Nun ist da die Branche von einem, dessen Erdogan-Schmähungen und Varoufakis-Fakes man ansonsten gern weiterpostet, derart formvollendet in die Tonne gekloppt worden, samt ihrer synthetischen Authentizität, ihrer gentrifizierten Weltoffenheit und ihrem spitzfingrigen Konsumismus des guten Gewissens. Mit vorgefertigten Sounds, Bildern aus dem Netz sowie Textschnipseln aus dem deutschen Pop und aus Posts kriegen das sechs Affen aus dem Gelsenkirchener Zoo auch hin, mit ein bisschen Hilfestellung vom Team während eines spaßigen Nachmittags: Bio-Musik aus industrieller Käfighaltung, und eben, so Böhmermann im Trump-Ton, „sehr, sehr gute Musik“ und, nein, i wo, „keine seelenlose Kommerzkacke“. So wie der Rest der deutschen Pop-Charts.

Wenn da aber nicht derselbe Geist geweht haben mag, bei dieser Hin- und Herrichtung obwaltender Zustände, dieselbe Zuneigung freilich zu einer ganz anderen Musik, die, weil sie in so vielen ihrer hervorragenden Werke vom allgegenwärtigen Versprechen und Versagen handelt, selbstverständlich auch teilhat am utopischen Potential? – „Zerstörerischer Umgang mit dem, was man liebt, um sich dessen wahres Vermächtnis zu bewahren im Hinblick auf einen Schönheitsbegriff, den ich versuchen muss, in Sicherheit zu bringen.“ Diesen Selbstkommentar zu „Accanto“, Lachenmanns verfremdender Aneignung von Mozarts Klarinettenkonzert, kann man womöglich auch auf den Musikliebhaber Jan Böhmermann beziehen.

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