Es war einmal vor gar nicht allzu langer Zeit, genauer gesagt im medialen Sommerloch 2022: Ein Partyschlager eroberte die deutschen Charts und entfachte eine heiße Debatte um Sexismus, künstlerische Freiheit und Zensur.
„Layla“ – von hitzigen Sommerhits in den deutschen Charts
Neun Wochen auf dem ersten Platz der Singlecharts machten die Ballermann-Ballade zuerst zum Sommerhit und dann sogar zum erfolgreichsten Song des ganzen Jahres. Die Rede ist von „Layla“ – nicht etwa Eric Claptons Muse, auch nicht die Fata Morgana der Ersten Allgemeinen Verunsicherung, sondern eine gewisse Bordellmutter, die von DJ Robin und Schürze als „schöner, jünger, geiler“ besungen wird.
An fragwürdigen Textzeilen wie dieser schieden sich die Geister. Einige Volksfeste reagierten auf die Sexismus-Vorwürfe und beschlossen freiwillig, das Lied nicht zu spielen. Prompt hieß es: Zensur! Anstatt einen sensibleren Umgangston zu erreichen, wurde nun kein Lied vom Publikum häufiger gefordert oder einfach angestimmt. Auf der Wiesn versuchte man es mit einer entschärften Textversion. Doch abgesehen davon, dass die stereotypische „Sekretärin bei der BayWa“ das vermittelte Frauenbild nur verschlimmbessert, grölten die Menschenmassen in den Bierzelten ohnehin den originalen Text. Die über 125 Millionen Streams, die das Lied mittlerweile auf Spotify hat, sprechen für sich.
Ein Jahr später zeigen Schlagzeilen um Rammstein-Frontman Till Lindemann, dass zum Thema Sexismus in der gesamten Musikszene längst nicht alles gesagt ist. Wie halten es nun die Songs, die ein Jahr nach „Layla“ die Charts stürmen? Der Ballermann ist immerhin nicht ganz so auf dem Vormarsch wie im Vorjahr. Titel wie „Ciao 3 Tage Blau“ und „Ich schieß mich weg“ sind zwar, wenn man von der Alkoholthematik absieht, weniger problematisch, dafür auch weniger prädestiniert für eine Spitzenposition im Mainstream. Wenn ein Julian Benz in „König von Malle“ davon singt, dass seine Freundin mit ihm in die Oper wollte, obwohl sie doch wusste, dass er „Opa doof fand“, und ihn dann auch noch zum „schiefen Turm von Nizza“ mitschleppte, weil sich’s so schön auf Pizza reimt, kann die „Hochkultur“ solche Wortwitze schon mal aushalten, aber dass das nicht jedermanns und jederfraus Bier ist, ist auch klar.
Julian Sommer und Mia Julia wagten sich ihrerseits an einen literarischen Klassiker heran und brachten mit Peter Pan einen Kinderbuchhelden an die Playa de Palma. Die Hookline: „Fuck, ich bin schon wieder blau wie der Ozean und ich glaub‘, dass ich fliegen kann wie Peter Pan.“ Höher als auf Platz 24 in den Charts flogen sie aber auch nicht.
DJ Robin und Schürze präsentieren sich in dieser Saison ganz scheinheilig als „Schwiegermutters Liebling“. Wenn besagte Schwiegermutter das lyrische Ich nur nicht mit der „Reinigungsfachkraft“ erwischt hätte. Nanu? Wer verkleidet denn da ein weiteres Klischee ironisch in politisch korrekte Sprache? Summerfield Records, das Label hinter „Layla“, hat im Diskurs wohl vor allem gelernt, dass es keine bessere Publicity gibt als Provokation. Auch das neue Musikvideo zu „Bumsbar“, in dem unter anderem Party-Nonnen auftreten, versucht zu polarisieren. Einen Nummer-1-Hit konnte das Label damit aber bislang nicht landen: Auf YouTube muss man schon sehr weit scrollen, um überhaupt einen empörten Kommentar unter dem Video zu finden.
Ganz oben auf dem Treppchen steht dafür niemand anderes als Otto Waalkes mit seinem „Friesenjung“. Er parodierte einst 1993 „Englishman in New York“ von Sting. Nun haben ein Berliner und ein niederländischer Rapper, Ski Aggu und Joost, ein Sample genommen und wieder etwas Neues daraus kreiert. Ein Projekt, das generationen- und nationenverbindende Ansätze zeigt. Dieses unerwartete Team-up macht Hoffnung, dass Musik heute nicht immer spalten muss, um durch die Decke zu gehen.
Trotzdem ist Miley Cyrus aktuell die einzige Frau in den Top 10 der deutschen Charts, während „Layla“ nach 56 Wochen immer noch in den Top 100 herumgeistert (Stand 22.06.2023). Und wenn sie nicht gecancelt ist, dann spielt man sie noch heute.
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