Es gibt Komponisten, die es zu Lebzeiten dem Publikum keineswegs leicht machten, deren Werke postum aber eine erstaunlich tiefe und anhaltende Wirkung entfalten. Das ist auch der Fall beim 1990 verstorbenen Luigi Nono. Das stets wache Interesse an seiner Musik hat nach seinem Tod eher noch zugenommen. Es zeigte sich schon bei der großen Nono-Retrospektive im Salzburger Zeitfluss-Festival. Es zeigt sich auch am Erfolg seines „Prometeo“; das ebenso komplexe wie subtile Hördrama gehört zu den meistgespielten musikdramatischen Werken der Gegenwart. Und nun, zu Nonos achtzigstem Geburtstag am 29. Januar, finden an einigen Orten wieder Konzerte und sogar ganze Konzertreihen mit seinen Werken statt.
Diese ungebrochene Faszinationskraft scheint rätselhaft. Die kämpferischen politischen Positionen, die der italienische Kommunist Nono vertreten hat, stehen dem heutigen Zeitgeist frontal entgegen. Und auch seine enorm differenzierte Musik, die die Wahrnehmung bis zum Äußersten fordert, scheint das durch akustische Dauerberieselung abgestumpfte heutige Hören permanent zu überfordern.
Doch vielleicht liegt es gerade an der unnachgiebigen Haltung, die der Komponist und Zeitgenosse Nono an den Tag legte, dass die Auseinandersetzung mit seiner Musik ungebrochen anhält. Sie wirkt wie ein Stimulans für aktives Hören, wie ein Antidot zur um sich greifenden Begleitradio- und Easy-Listening-Kultur. Wenn man die wie Diamanten blitzenden Klänge des Streichquartetts von 1980 hört oder sich in die ausgetüftelten Raumklangkompositionen aus Nonos letztem Lebensjahrzehnt vertieft, so wirkt das, bei aller Zartheit dieser Klangkonstellationen, auf das Ohr wie ein reinigendes Gewitter, das wieder den Blick in die Ferne ermöglicht. „Das atmende Klarsein“, das luzide Werk für kleinen Chor, Bassflöte und Live-Elektronik über Texte von Rilke, ist da gleichsam Programm.
Nonos Stellungnahmen waren klar und kompromisslos bis zur Selbstpreisgabe. Von seinem Weg als engagierter Komponist ließ er sich weder durch die Vorwürfe serieller Puristen noch durch politische Anfeindungen abbringen; in der politischen Diskussion scheute er auch die Kritik an eigenen ideologischen Positionen nicht. Als Protest gegen das Kriegsrecht in Polen komponierte er 1981 sein Zweites Polnisches Tagebuch, in dem er mit den Worten von Welemir Chlebnikow die „orthodoxen Wölfe“ in Moskau anklagte. Und 1983, als in Westeuropa Hunderttausende gegen die so genannte Nachrüstung der Nato auf die Straße gingen, forderte er, man solle nicht nur gegen amerikanische, sondern auch gegen russische Atomraketen protestieren.
Sein selbstkritisches Denken radikalisierte sich um 1980, als er im Freiburger Experimentalstudio die wirklichkeitsumstürzenden Möglichkeiten der Live-Elektronik kennen lernte. Alles, was zuvor fest schien, geriet für ihn nun ins Wanken, alle bisherigen Konzepte wurden entwertet, der Wahrnehmung eröffneten sich vollkommen neue Perspektiven. Der „suono mobile“, der veränderliche und im Raum bewegliche Klang, wurde ihm zur Metapher für die stetige Unruhe, für die große, fruchtbare Unsicherheit in der Musik, in der Politik, im Leben.
Ein weiteres Thema beschäftigte ihn in den letzten Jahren: Die zunehmende Ökonomisierung der Kultur und die damit verbundene Versimpelung des Denkens. Der Markt erfordere schnelle Lösungen und lasse keine offenen Fragen zu, kritisierte er. „Es gibt Fragen, die haben keine Antwort. Diese Manie, alles zu erklären, alles zu beweisen, alles zu organisieren, alles zu systematisieren, führt zum Tod der Kultur. Heute sind wir schon sehr weit.“ Luigi Nono sagte das 1983. Zwanzig Jahre später ist es aktueller denn je.