„Im 17. und 18. Jahrhundert wurde unter ‚Franchise’ in Frankreich und Großbritannien die Gewährung eines Privilegs verstanden, welches von Königen an zuverlässige Persönlichkeiten vergeben wurde. Diese Persönlichkeiten hatten das Recht, gegen Entgelt die Produktion oder den Handel mit bestimmten Erzeugnissen zu betreiben.“ Soweit die Online-Enzyklopädie Wikipedia über ein Geschäftsmodell, das in seiner heute bekannten Form auf eine Historie von den Nähmaschinen eines Isaac Singer bis zu den Buletten-Brötchen eines Ronald McDonald zurückblicken kann. Auf die Idee, auch Musikunterricht auf diese Weise zu vermarkten, kam der Instrumentenhersteller Yamaha Ende der 1950er-Jahre und überzeugte in der Folgezeit auch in Deutschland viele Existenzgründer, sich diesem Modell anzuschließen. Nicht zuletzt deshalb, weil sich der Konzern offen zeigte, die Unterrichtskonzepte in verschiedenen Ländern unterschiedlich weiterzuentwickeln. Zumindest bisher.
Einzelne Mitglieder der Chefetagen müssen in jüngster Zeit jedoch Einschneidendes erlebt haben. Man darf sich das vielleicht so vorstellen: Eine Führungskraft stattet einer Yamaha Musikschule einen Besuch ab. Nachdem der musikaffine Administrator erfreut zur Kenntnis genommen hat, dass das Firmenlogo an der Fassade die richtige Größe hat, dass in den Unterrichtsräumen die neueste Keyboard-Generation spielbereit zur Verfügung steht und dass das Saxophon aus dem Zimmer gegenüber so klingt, wie er es von den firmeneigenen Instrumenten gewohnt ist, klopft er an die nächste Tür. Eine junge Klavierschülerin unterbricht ihr Spiel, setzt es aber, nach freundlicher Aufforderung durch den Gast, fort. „Nochmal vom Doppelstrich an“, meint der Lehrer, „am Ende könntest du ein wenig langsamer werden, ritardando, erinnerst du dich?“ Das Mädchen nickt und spielt den Sonatinensatz zu Ende.
Beim Hinausgehen kommt unser Inspizient ins Grübeln, eine Irritation bemächtigt sich seiner. Dann plötzlich die Erkenntnis: Vor zehn Tagen, in Frankreich, hat er das gleiche Stück von einem gleichaltrigen Mädchen gehört. Sie hatte am Ende verzögert und war daraufhin ermahnt worden: „Nein, nicht langsamer werden. Was du da machst, nennt man Ritardando, aber dazu kommen wir erst nach den großen Ferien.“
Beim anschließenden Mittagessen ein entgegengesetztes Erlebnis, ein geschmackliches Déjà-vu erster Güte: Der Hamburger gleicht bis hin zum lange nachwirkenden Abgang aufs Zwiebelringchen genau seinem französischen Bruder im Fette. Und schon tippt der Qualitätsmanager ein Memo in sein Smartphone …
Dass obige Szenerie frei erfunden werden musste, hat seinen Grund: Yamaha legt höchsten Wert auf Diskretion. Man kann also nur spekulieren, warum den Musikschulpartnern seit einiger Zeit Vertragskündigungen ins Haus flattern. In unerschütterlichem Glauben an das Gute im Menschen, speziell im Musikmenschen, gehen wir aber davon aus, dass die neuen Konditionen, auf die sich Kooperationswillige nun einlassen müssen – darunter eine deutliche Erhöhung der pro Schüler abzuführenden Lizenzgebühren – nur einem Zweck dienen: die Unterrichtsprogramme noch besser als bisher „auf die altersbedingten physischen, geistigen und emotionalen Aspekte der Entwicklung von Kindern“ (Zitat von der Yamaha-Webseite) abzustimmen.
Um endlich mit dem sektiererischen Individualismus einzelner Länder Schluss zu machen und allen Heranwachsenden des Erdballs zum selben Zeitpunkt ihres Lebens ein Yamaha-zertifiziertes Ritardando (um das fiktive Beispiel aufzugreifen) zu ermöglichen, hat natürlich auch eine Weiterbenutzung älteren Unterrichtsmaterials künftig zu unterbleiben. Das macht auch dahingehend Sinn, als die alten Hefte sicher schon recht schmuddelig geworden sind und die Musikschulleiter wohl nur auf einen Vorwand gewartet haben, sich das alles mal neu anzuschaffen.
Vielleicht gewährt Yamaha ja bei der Frankfurter Musikmesse einen Blick in seine schöne neue Welt globalisierter Musikschulinhalte, und vielleicht erachten die Könige des Instrumenten- und Unterrichtsverkaufs dann bald auch ein paar neue Persönlichkeiten für zuverlässig genug, deren Banner dort hochzuhalten, wo man gern spielt, weil man gut spielt.