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Medienesel

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Es gibt manchmal Bilder oder Worte, die erhellen mit der Kraft eines Symbols blitzartig eine Situation, der man sich vorher nur ungenau bewusst war. Ein solches Bild war am 21. November in Spiegel Online zu sehen: Zwei schwer bewaffnete US-Soldaten und ein Zivilist untersuchen einen Eselskarren. Offenbar eine hoch gefährliche Situation. Aus einem solchen Karren – oder war’s genau der auf dem Bild? – wurden Raketen auf ein von Amerikanern bewohntes Hotel abgefeuert. In einem sonderbaren Kontrast zu der bewaffneten Aktion steht der Esel, der alles mit stoischer Ruhe über sich ergehen lässt.

So haben sich die Strategen im Weißen Haus den „clash of cultures“ sicher nicht vorgestellt: Eine Hightech-Armee, die auf’s schnelle, saubere Töten abgerichtet ist, steht einem ungreifbaren Feind gegenüber. Sie stolpert durch ein Land, in dem sie nicht einmal „Bahnhof“ versteht, muss bei ihren Razzien Frauen und Kinder mit dem Gewehr bedrohen und wühlt in den Kleiderschränken der Einwohner nach Waffen herum. Zu guter Letzt wird sie mit einem Eselskarren vorgeführt.

Dass ein solches Bild ungehindert in die Presse gelangt, kommt einem medialen GAU gleich. Ähnlich wie im Vietnamkrieg das Foto mit dem nackten, schreienden Mädchen, das aus einem von der US-Armee mit Napalm bombardierten Dorf heraus rennt. Nur wiederholt sich jetzt die Tragik als Farce. Das Eselsbild ist an Lächerlichkeit kaum zu überbieten und entlarvt die ganze Dummheit der amerikanischen Kriegführung.

Nicht umsonst wird bei den ständigen Attentaten auf patroullierende Soldaten das Umfeld jedes Mal abgeriegelt: Die Toten und Verwundeten müssen verschwinden, bevor die Presse kommt. Die heimischen Bildschirme sollen clean gehalten werden, um das Märchen von den Bösen und den Guten, die große Narration von den Lichtbringern aus den USA, nicht in Frage zu stellen. Im Irak selbst glaubt zwar keiner mehr daran, aber darauf kommt es ohnehin nicht an. Es geht darum, die Glaubwürdigkeit des Medienfakes zu retten, der von der Politik mit allen Mitteln der Kunst in die Welt gesetzt wurde und nun durch die Wirklichkeit entlarvt zu werden droht.

Das Unternehmen Irak ist ein Lehrbeispiel für die prekäre Instrumentalisierung der heutigen Massenmedien durch die Politik. Was als perfekt inszenierter Medienkrieg angefangen hat, landet in der glanzlosen Selbstdemontage der einzigen Weltmacht vor der globalen Öffentlichkeit.

Mit dem Eselskarren sind auch die „spin doctors“ überfordert. Diese Formulierungskünstler und offiziellen Tatsachenverdreher, die die Politik als Waschmittelreklame verkaufen, sitzen als hoch bezahlte PR-Fachleute in allen Regierungsstellen, von London über Washington bis Berlin und anderswo. Sie unterscheiden sich allenfalls im Grad ihrer Schamlosigkeit, aber nicht in der Methode, die stets auf dasselbe herausläuft: der Öffentlichkeit einen Fehler als Erfolg, eine Niederlage als Sieg, das eigene Interesse als das allgemeine zu verkaufen. Hin und wieder treibt es einer zu bunt, und wenn es einen Toten gibt, muss er gehen, damit sein Dienstherr nicht selbst ins Straucheln gerät, wie neulich Tony Blairs Sprachrohr Allistair Campbell.

Aus ihrer Sicht ist Wahrheit nicht die Übereinstimmung einer Aussage mit der Tatsache, die sie sprachlich bezeichnet, sondern ein Konstrukt zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung mit dem Ziel, die eigene Position mehrheitsfähig zu machen. Die Wahrheit des Konstrukts gilt dann als erwiesen, wenn durch Beeinflussung der Medien diese Mehrheit vorübergehend erreicht ist. Das nennt sich Öffentlichkeitsarbeit und ist traditionellerweise das Geschäft der Verbandslobbyisten und PR-Fachleute in den Unternehmen.

Neu ist, dass sich nun auch die Politik mehr und mehr danach richtet. Dabei werden gelegentlich Wunsch und Wirklichkeit miteinander verwechselt. Die Pleite der New Economy, die nicht von ungefähr mit einer Pleite der neuen Medien einherging, war eine Lektion, die viele Politiker nicht gelernt haben. Noch glauben sie an die Zauberkraft der Medien und merken nicht, wie ihr Stuhl wackelt.

Wie hilflos Kommunikationsstrategien gegenüber der banalen Wirklichkeit sein können, hat sich jüngst auch in andern Fällen gezeigt. So bei einer offiziell von der EU in Auftrag gegebenen Erhebung in den Mitgliedsländern: Auf die Frage, welche Staaten mit ihrer Politik den Weltfrieden bedrohen, wurde von 59 Prozent der Befragten Israel an erster Stelle genannt, noch vor Iran und Nordkorea. Da man es eigentlich umgekehrt erwartet hatte, wurde die Umfrage kurzerhand als ungültig erklärt. Der EU-Ministerratsvorsitzende Berlusconi zeigte sich laut Spiegel „überrascht und empört“ und erklärte, dass es sich beim Ergebnis der Umfrage überhaupt nicht um die tatsächliche Haltung der Europäer gegenüber Israel handele. Irgend etwas scheint hier bei den Zauberlehrlingen schief gelaufen zu sein.

Bei geschäftsschädigenden PR-Pannen wird gern auf das Ablenkungsmanöver der Medienschelte zurückgegriffen. Den Journalisten der Zeitschrift „Capital“, die in einem gut recherchierten Artikel die Unternehmensstrategie der Deutschen Bahn auseinander genommen hatten, warf neulich der Finanzvorstand des Unternehmens Rufmord vor. Offensichtlich kamen da die „falschen“ Informationen an die Öffentlichkeit. Noch vor einem halben Jahr wollten die „spin doctors“ der Bahn die neue Bahncard den Kunden mit abenteuerlichen Sprüchen als Vorteil verkaufen. Der Versuch ging brutalstmöglich daneben. Nun glaubt ihnen keiner mehr, erst recht nicht, wenn sie den Journalisten die Schuld am Kommunikationsdesaster zuschieben wollen.

Jeder Heimatdichter weiß und arbeitet gezielt damit, dass Erfahrungswelt und Abbild zwei verschiedene Dimensionen der Wirklichkeit darstellen. Diese simple Tatsache wird von den Mächtigen dieser Welt, die ihr Schicksal mit den Medienmechanismen verknüpft haben, offenbar manchmal übersehen. Der 1992 verstorbene argentinische Liedermacher Atahualpa Yupanqui hat das in seinem Lied „Basta ya!“ seinerzeit auf einen einfachen Nenner gebracht: „Wer gewann den Krieg in Vietnam? Der Guerillero im Busch und der Yankee in seinem Kino.“

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