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Moritz Eggert. Foto: Juan Martin Koch

Moritz Eggert.

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Mehr Oper wagen

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Absolute Beginners 2023/07
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Die meisten Menschen haben eine Vorstellung vom Opernbetrieb, die der Wirklichkeit noch nicht einmal entfernt ähnelt. Das liegt daran, dass unser Bild von Oper nach wie vor stark vom 19. Jahrhundert geprägt ist.

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In dieser Zeit gab es allein in Italien in jedem Dorf ein Opernhaus, das mehr oder weniger die einzige Abendunterhaltung repräsentierte. Es erstaunt daher nicht, dass ein riesiger Bedarf an neuen Opern herrschte, ähnlich wie es bei den heutigen Streaming-Anbietern einen großen Bedarf an spannenden Serien gibt, die die Abonnentenzahlen sichern.

Und ja, in dieser Zeit war es absolut vorstellbar, dass ein nicht ganz unbekannter Komponist gemeinsam mit einem Librettisten einfach eine Oper schrieb und diese „verkaufen“ konnte, ohne dafür speziell einen Auftrag zu haben. Ich benutze hier bewusst die männliche Form, denn Opern von Frauen wurden im 19. Jahrhundert in der Regel nicht aufgeführt. Da man sich auch heute leider nach wie vor auf das 19. Jahrhundert spezialisiert, kommen Frauen nur vor, wenn man Neues spielt, und das ist immer noch viel zu selten der Fall.

Heute sind in Italien von den einst hunderten von Opernhäusern nur ein halbes Dutzend geblieben, allein Deutschland hat das Glück, dass ein Großteil der einst von bürgerlichen Privatinitiativen gegründeten Opernhäusern in städtischer oder staatlicher Hand überlebt hat. Dies verändert aber den Prozess, wie Opern entstehen.

Eine junge Komponistin, die mit einer schon geschriebenen Oper hausieren geht, wird keinerlei Chance haben, dass man ihr nachträglich dafür Geld gibt. Ein solcher Auftrag entsteht meis­tens aus einer Idee der Dramaturgie oder Intendanz, ist vielleicht auch an eine ganz spezifische Konstellation gebunden (zum Beispiel einen Stoff, den man vertont wissen will).

Insgesamt vergeben die hiesigen Opernhäuser nur wenige Aufträge an junge Komponierende, und dies auch nur, wenn sie schon einen gewissen Namen haben. Dann liegt auf der ersten Oper oft ein gigantischer Erwartungsdruck. Umgekehrt ist es für viele Komponierende auch „schick“, eine Oper im Werkverzeichnis zu haben, einfach nur um zu beweisen, dass man das auch kann (so wie sich viele nach wie vor an dem schon lange nicht mehr frischen Konzept einer „Symphonie“ abarbeiten, während sie vielleicht wesentlich wildere und freiere Ideen haben, als es diese Form zulässt).

Man setzt sich also mit ein bisschen Auftragsglück an die erste Oper und …scheitert meistens. Wie kann es auch anders sein? Anders als die Kollegen im 19. Jahrhundert konnte man keinerlei Erfahrung sammeln. Damals konnte ein noch unbekannter Komponist noch leicht ein Haus finden, das ihm eine Chance gab. Richard Wagner schrieb eine ganze Handvoll Opern, die relative Misserfolge waren, dennoch aber aufgeführt wurden und ihm wichtige Erfahrungen für seine neuartige Opern­ästhetik gaben. Sprich: er durfte noch scheitern und durch Scheitern lernen.

Diesen Luxus haben die jungen Komponierenden heute nicht. Meistens ist es hopp oder topp, und sie werden ohne jegliche Erfahrung mit Komponieren für die Bühne in eine Situation hineingeworfen, in der es sehr schwierig ist, gleich „das“ Werk zu schreiben, das alle erwarten. Das ist ungefähr vergleichbar mit einer jungen Architektin, die noch nie auf einer Baustelle war und dann gleich einen Wolkenkratzer in Dubai bauen soll. Das wird nur in den seltensten Fällen funktionieren.

Es wäre also wünschenswert, wenn wir dem kompositorischen Nachwuchs mehr Gelegenheiten gäben, sich mit Musik für die Bühne zu erproben. Dies ist momentan vor allem im Bereich Jugend- und Kinderoper möglich, wo es die meisten Gelegenheiten für den Nachwuchs gibt. Aber auch die Ausbildungsinstitutionen sind gefragt, hier vielleicht neue Konzepte zu entwickeln. Denn anstatt sich nur an Kammermusik abzuarbeiten (wie es meistens noch der Fall ist an den Hochschulen) könnten Erfahrungen im Musiktheater gerade im Studium ohne großen Aufwand vermittelt werden. Und alle würden davon profitieren, auch die Gesangs- und Instrumentalstudierenden, die an solchen Produktionen beteiligt sind. Mehr Oper wagen wäre daher das Motto. Und gerne ein bisschen mehr Oper des 21. Jahrhunderts. Denn wo nicht an einen Bedarf geglaubt wird, kann auch nie ein Bedarf entstehen.

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