Die Recherchen von Eric Schulz ergeben, dass Max Lorenz von einigen Nazis unter Druck gesetzt und verfolgt wurde. Auf der anderen Seite muss er Protektion von höherer und höchster Seite genossen haben. Sonst hätte er nicht zehn Jahre lang in Bayreuth, gefördert von Winifred Wagner und Heinz Tietjen, die großen Wagner-Partien singen können. Lorenz, seit 1932 mit seiner jüdischen Managerin verheiratet, war homosexuell. Möglich, dass die Ehe eine Art von Alibi war. Von den Nazis wurde dies so lange geduldet, bis Lorenz, wie Wolfgang Wagner später berichtete, in flagranti mit einem jungen Mann erwischt, angezeigt und verhaftet wurde. Für Winifred Wagner war dies „eine peinliche Angelegenheit, da ich ja die Arbeitgeberin war‘‘. Hitler habe, so berichtet sie, Lorenz für untragbar gehalten. „Worauf ich ihm sagte, na gut, dann kann ich Bayreuth schließen. Ohne Lorenz kann ich Bayreuth nicht machen.“
Der Prozess wurde niedergeschlagen. Lorenz durfte in Bayreuth singen. Und seine Frau, von der er sich nicht trennen wollte, erhielt durch Göring offenbar den „Arier-Paß“ – nach der Maxime: „Wer Jude ist, bestimme ich“, wie Winifred an Walter Herrmann schrieb. Diese Darstellung findet sich in Brigitte Hamanns Buch „Winifred Wagner oder Hitlers Bayreuth“.
Zu ergänzen ist, dass SS-Leute trotzdem versucht haben, die Frau des Sängers zu verhaften. Doch konnte sie eine vorgesetzte Stelle benachrichtigen. Von dieser Stelle erging wohl die Weisung, die Frau des Sängers und deren Mutter unbehelligt zu lassen. Als Reaktion auf diesen Vorfall soll Göring mit Schreiben vom 21. März 1943 betont haben, dass Lorenz unter seinem persönlichen Schutz stehe und jedes Vorgehen gegen Lorenz, dessen Frau und deren Mutter zu unterbleiben habe.
Der Vorwurf, ich hätte behauptet, Lorenz habe die Nazi-Rhetorik auf die Bühne übertragen, verkürzt das Problem. Alle „Sprechrollen‘‘ – auch die von Sängern – sind soziale und politische Rollen. „Das Verständliche an der Sprache ist“, so Nietzsche, „nicht nur das Wort selber, sondern der Ton, die Stärke, Modulation, Tempo, mit denen eine Reihe von Worten gesprochen wird, kurz die Musik hinter den Worten, die Leidenschaft hinter der Musik, die Person hinter der Leidenschaft.“ So wie in Italien etwa Aureliano Pertile affiziert war von der Rhetorik in der Ära Mussolinis (von Thomas Mann in „Mario und der Zauberer“ beklemmend an der Figur des Cipolla geschildert), haben Sänger wie Lorenz, Helge Rosvaenge oder Jaro Prohaska mit gesteigerter, oft heftig übersteigerter Rhetorik gesungen. Ein Beispiel: Im Mitschnitt der „Meistersinger“ von 1943 unter Furtwängler ist bei Lorenz wie bei Prohaska dieser – für mich unerträgliche – rhetorische Stil zu erleben. „Habt acht, euch dräuen üble Streich’‘‘ wird von Prohaska als politische Parole ins Publikum (Soldaten, die von der Front gekommen waren) gedonnert.
Hingegen ist der Gesang von Ludwig Suthaus und Paul Schoeffler in den Aufführungen unter Abendroth ganz und gar frei von jener „Leidenschaft‘‘.
Jürgen Kesting, Hamburg