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Moment der Reibung

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Reibung erzeugt Energie und manchmal auch angenehme Gefühle, das wissen wir aus Physik und Sexualkunde. In guter alter europäischer Tradition ist die Reibung an der Konvention ein wesentlicher Faktor zur Entstehung von wichtiger Kunst.

Es gab auch Zeiten, wo sich die Neue Musik noch so richtig schön an Konventionen rieb, zuletzt wahrscheinlich in den 20er-Jahren, der Zeit, aus der auch das Klischee von der „schrägen 12-Tonmusik“ stammt, das uns bis heute wie ein schlechter Geruch unerbittlich anhaftet, eben weil wir diesen Geruch damals zum letzten Mal einigermaßen öffentlich verbreiten durften. Der Rückzug aus dieser Öffentlichkeit kam allzu bald, natürlich erst einmal erzwungen, spätestens ab den 50er-Jahren dann aber zunehmend freiwilliger, was sich immer mehr als katastrophal erweist.

Wie glaubwürdig kann eine Avantgarde sein, die sich nach wie vor als tapferer Stachel im Fleisch der Konvention sieht, dieser aber keineswegs in direkter Konfrontation den Kampf ansagt (was ja notwendig wäre), sondern stattdessen lieber in abgesicherten, gut eingespiel­ten Zirkeln den eigenen kleinen Jahrmarkt der Eitelkeiten pflegt?

Das Schlimme ist: Es geht uns dabei zu gut – allerorten gibt es wackere Festivals, denen es erfolgreich gelungen ist, Neue Musik als eine Art interessanten Lifestyle für Insider zu etablieren. Säle (manchmal) voll, Begeisterung, Problem gelöst, mag mancher meinen, vergisst aber dabei, wie unerträglich unser Jargon der Eingeweihten für Nichteingeweihte geworden ist. Und dass es natürlich auch bei der Jahresversammlung der Pudelfreunde Castrop-Rauxel e.V. echte Begeisterung über die neuesten Zuchtexemplare gibt. Macht das die Pudel gesellschaftlich relevanter?

So weit entfernt ist der Vergleich übrigens nicht: Wenn das jährliche Festivalschaulaufen der gerade Angesagten unserer „Neue-Musik-Szene“ beginnt, reibt sich manch ein Verantwortlicher die Hände ob einer besonders erfolgreichen und gut gestutzten Neuzucht. Schließlich wollen wir ja alle mal Erfolgserlebnisse haben.

Nun ist das ja alles wahnsinnig gut gemeint, und es fließt viel echte Kreativität und Energie in Event-Konzerte in tollen stillgelegten Fabrikhallen, aber irgendwie versprach die europäische Musikgeschichte doch mal ein bisschen mehr als das. Da war doch mal ein Traum von Relevanz, von umarmten Millionen und der Möglichkeit, dass ein Musikstück nicht nur intellektuell beeindrucken kann, mehr ist, als einsame Klangrecherche für Insider.

Hinzu kommt ein immer stärkeres Sehnen danach, dass der Mainstream mal von einem Hauch von Subversivität durchbrochen werde, von Originalität und Kontroverse. Dies kann natürlich nicht funktionieren, wenn man sich nicht auch der Sprachlichkeit des Mainstreams aussetzt, sie vielleicht sogar beherrscht und interessanten Mutatio-nen aussetzt, aber das geht ja nicht, denn dann würde man ja irgendwelche obskuren, gut abgehangenen Ideale verraten.
Würde man mal sofort auch ohne klug klingendes Gewäsch im Programmheft verstehen, um was es in einem Stück eigentlich geht – das sorgfältig gebaute Kartenhaus des eigenen Eliteverständnisses bräche zusammen. Ohne Risiko, unter Seinesgleichen geht es meistens um … gar nichts.

Kommt ins Offene, Freunde, möchte man im Hölderlin’schen Sinne der Szene zurufen, betretet die Höhle des bösen Pop-Löwen, stellt euch dem Leben, seid wieder Teil öffentlicher Kulturwahrnehmung, so wie es der Bildenden Kunst, dem Theater und der Literatur dann doch immer wieder mal gelingt! Wann wurde das letzte Mal ein Werk von einem der Unseren öffentlich besprochen wie der neue Roman von Daniel Kehlmann? Gerne geben wir anderen die Schuld, aber es besteht nur Hoffnung, wenn wir zuallererst mal an unseren eigenen Schopf fassen und uns aus dem Sumpf der Selbstzufriedenheit ziehen. Der Widerstandskämpfer, der eitel seine Waffensammlung putzt, faul von den alten Erfolgen zehrt und dieselben Ideale vertritt wie vor 50 Jahren, seine Wohnung aber schon seit eben diesen 50 Jahren nicht mehr verlassen hat – er wäre das Sinnbild des unerträglichen Spießers. Von so einem würden wir uns keine Poster ins Jugendzimmer hängen, er wäre eine Farce, eine lächerliche Figur. Manch einer sieht sich heute noch als letzter Widerstandskämpfer gegen die kulturelle Verwahrlosung, aber wie effektiv ist ein solcher Widerstand, der quasi für die Öffentlichkeit unsichtbar ist (da er nicht mehr in dieser stattfindet)? Daran müssen wir arbeiten, Freunde. Denn die Zeit, in der wir Komponisten als relevant genug galten, um sich in Politik einmischen zu dürfen, ist momentan vorbei, und sogar die musica viva in München sagt lieber mal ein Werk des Komponisten Dror Feiler über die besetzte Zone im Gazastreifen ab, aus Angst, es könnte „zu laut sein“.

Die feist gewordene Avantgarde aber ist die Vorhut von gestern, sie ist spießig geworden, das ist die schreckliche Wahrheit. Sie reibt sich nicht mehr am Leben, nur noch an sich selber. Aus der strammen Vorhut wurde eine schlaff hängende Vorhaut, und diese wird ja gelegentlich in stiller Stunde einsam bearbeitet. Und genauso klingt es dann auch.

Siehe dazu auch die Reaktion: Das Lachen von Herzen braucht Niveau
Der Bad Boy schüttet das Kind mit dem Bade aus · Überlegungen von Reinhard Schulz

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