Nanu – wird sich der Beobachter verwundert die Augen ob dieser Überschrift reiben. Wie passt das zusammen in einer Stadt, die sich nach dem Fall der Mauer auf dem Weg zu einer Kulturmetropole befindet? Die vielfach gerühmte kulturelle Vielfalt, der Reichtum an künstlerischen Ausdrucksformen und kulturellem Erbe prägen eine lebendige Hauptstadt, die im Gegensatz zu Paris, Wien oder London nicht über ein Zentrum verfügt, sondern über viele Hotspots. Berlin ist eine Ansammlung von Dörfern, die für die zwei Seiten von Provinz stehen. Zum einen ist Provinz eine Landschaftsbeschreibung zum anderen beschreibt Provinz auch einen Zustand.
In der Kultur- und Bildungspolitik herrscht in Berlin leider tiefste Provinz. Das liegt nicht an fehlenden Doktortiteln, wie der Regierenden Bürgermeister und amtierende Kultursenator kürzlich in einer Reaktion auf die Kritik von Peymann an der Kulturpolitik mutmaßte, sondern an dem unterentwickelten Willen zu gestalten. Mit mir freuen sich nachweislich der guten Umfragewerte für Michael Müller viele Berlinerinnen und Berliner auf einen pragmatisch handelnden Regierenden und sind gespannt auf seine Taten. Ob er ein guter Kultursenator werden wird, muss sich erst noch erweisen. Bei Sandra Scheeres, Senatorin für Bildung, Jugend und Wissenschaft, ist leider klar, dass sie einen Minusposten im Berliner Senat darstellt. Am Beispiel der Berliner Musikschulen lässt sich belegen, dass Scheeres noch nicht einmal verwaltet, geschweige denn gestaltet. Über 10.000 Schülerinnen und Schüler auf den Wartelisten der bezirklichen Musikschulen, massenweise ausfallender beziehungsweise fachfremd erteilter Musikunterricht in der Grundschule, dem einzigen Ort, wo nahezu alle Kinder erreicht werden können und die soziale Gleichgültigkeit gegenüber einem Berufsstand, dessen Lage als prekär zu bezeichnen ist, sind die traurige Zwischenbilanz einer desinteressierten Senatorin.
Wenn aber hochqualifizierte Musikschullehrer nicht mehr von ihrer Arbeit leben können – die Künstlersozialkasse weist ein Jahreseinkommen eines freiberuflichen Musikschullehrers von 12.000 Euro aus – dann ist das Ende des Berliner Musikschulwesens nicht mehr weit. Dem Abgeordnetenhaus ist es zu verdanken, dass die Berliner Musikschulen angesichts dieser desaströsen Lage im vergangenen Jahr eine Finanzspritze von 2,5 Millionen zusätzlich erhielten. Ein erster Schritt in die richtige Richtung. Leider kam das Geld in den meisten Fällen nicht bei den Musikschulen an, weil es in den Bezirken zum Stopfen von anderen Haushaltslöchern zweckentfremdet wurde. Diese miserable Bilanz hat Sandra Scheeres immerhin auf Platz 2 der Nominierten für den Musik-Gordi gehievt (siehe S. 2).
Senatorin Scheeres kann es einfach nicht und sollte einmal über einen Jobwechsel nachdenken. In jedem Fall sind Michael Müller, Frank Henkel und der Rat der Bürgermeister gefordert, den gordischen Knoten dieser katastrophalen Scheeres-Bilanz zu durchschlagen und endlich dafür zu sorgen, dass jedes Kind der angehenden Kulturmetropole etwas von der kulturellen Vielfalt erfahren kann. Kultur ist nämlich nicht nur für Touristen da, sondern auch für die Bürgerinnen und Bürger Berlins. Dabei sollte auch über eine Landesmusikschule nachgedacht werden, bei der die Mittelzuweisung zweckgebunden durch den Senat erfolgt unter Beibehaltung der inhaltlichen Gestaltungshoheit der Bezirke, damit das unselige Ping-Pong-Spiel zwischen Senat und den Bezirken wenigstens in diesem Bereich ein Ende hat.
Über 190 Nationalitäten beherbergt die potenzielle Modellstadt für eine Kreativgesellschaft von morgen. Ob Hoch-, Tief, Neben-, Breiten-, IN- oder OFF-Kultur – in Berlin entsteht täglich Neues und durchlüftet zwei ehemals eingegrenzte Stadthälften. Das Zeitfenster für Veränderung und Weiterentwicklung steht auch Berlin nur begrenzt offen. Eine riesengroße Chance, die kulturellen Potenziale für den Weg in eine kreative Bürgergesellschaft zu nutzen, wenn denn die Bezirks- und Landespolitik endlich die Gunst der Stunde nutzt, um Prioritäten für diesen Weg in eine Kreativgesellschaft zu setzen und die Zivilgesellschaft ihr dabei mehr Dampf macht als bisher.
Christian Höppner, Ehrenpräsident des Landesmusikrates Berlin, Chefredakteur des Musikforum