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Kein Herz für niemand. Sven Ferchow. Foto: Hufner
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Na dann

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Ferchows Fenstersturz 2017/10
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Musik muss krachen. Dachte sich auch das ZDF. Und schickte jede Menge Kracher beim „Sommer-Hit-Festival 2017“ ins Rennen. Mit einem „Hauch von Copacabana“ am Timmendorfer Strand. War aber eher ein Hauch von Rohipnol, was das Livepublikum betrifft. Entschuldigung. Wie kann man bei Peter Kraus derart ausrasten? Der sah schon so aus, als ich vier war. VIER! Und singt immer noch den gleichen Song. In welcher Schleife bin ich denn bitte? Und unvermeidlich, weil ja im Osten: Karat.

Zum 1.000. Mal schleichen sie über ihre sieben Brücken. Nur jeden Sommer gebrechlicher. Also Karat. Nicht die Brücken. Aber mal Tacheles. Viele ältere DDR-Bürger, äh ehemalige natürlich, murmeln heute noch hinter vorgehaltener Hand: „Nur im Stasi-Knast von Bautzen war man vor Karat wirklich sicher.“ Wobei. Geheime Dokumente enthüllten kürzlich, dass die Stasi einst Erich Honecker als Sänger bei Karat installieren wollte. Doch der KGB winkte ab. Zu gefährlich. Stichwort US- Botschaft in Kuba: Schallwellen als Waffe. Trotzdem dürfen Karat im Westen auftreten. Mit einem Song. Jedes Jahr. Einmal. Gedenkstättenpädagogik mal anders. Soweit muss Oonagh erst kommen. Kennen Sie nicht? Oonagh aber Sie. Die macht nämlich so einen Wahnsinn aus spiritueller und mystischer Musik. Und nimmt Verbindung mit Ihnen auf. Ohne dass Sie etwas merken. Und sich höchstens wundern, warum Ihre Stehlampe wackelt. Wahrscheinlich, weil Oonagh bei ihrer telepathischen Kontaktaufnahme während der Flucht aus dem Schlaflabor dagegen gerumpelt ist. Und nebenbei steht sie auf der Bühne und guckt so, als hätte sie ein TGV stirnseitig mit 260 km/h überfahren. Beziehungsweise dessen Geist. Das Ganze untermalt sie im wahrsten Sinn des Wortes mit wellenartigen Handbewegungen, die eher an Sufffahrten eines Martin Semmelrogge erinnern. Oder als würde sie an einer Raufasertapete entlang fahren und der Lebensgeschichte des Tapetenkleisters an den Schnittkanten lauschen. Beziehungsweise dessen Geist.

Wo sind die Mainzelmännchen, wenn man sie braucht? Sie kommen. Ziemlich gnadenlos in Form von Otto Waalkes, der es sich nicht nehmen lässt, die gleichen Albernheiten (Niveau: Abschlussklasse im Seniorenheim) wie vor 39 Jahren zu kalauern. Da war ich fünf. FÜNF! Noch fremdschämiger: Gastgeberin Michelle Hunziker, die gewohnt holprig durch das Programm führt, als moderierte sie den Elternabend der „Frechen Früchtchen“ im Waldkindergarten. Wie eine Dreijährige kauert sie vor der Bühne und himmelt Waalkes an. Dass Otto trotz der Kraft der hunzikerschen Doppelherzen keinen „Paola“-Anfall bekommt, muss man ihm hoch anrechnen. Denn zum selben Zeitpunkt schlürfen die ersten plötzlich ermüdeten Mittsechziger ins Bett und wünschen der Gemahlin blöd grinsend noch gute Unterhaltung. Und dann wird das ZDF im Osten politisch und präsentiert mit Vicky Leandros den griechischen Schuldenschnitt. Die sah übrigens schon so aus, als ich sechs war. SECHS! Das versteht das ZDF also unter Hits. Man muss Demokratie auch aushalten können.

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