Die Salzburger Festspiele, genauer: das Kuratorium der Festspiele, wählte von den drei, von einer Findungskommission ausgespähten Bewerbern für die künstlerische Leitung als Nachfolge für den derzeitigen Intendanten Jürgen Flimm, den Intendanten der Zürcher Oper, Alexander Pereira. Ausgeschieden wurden Stéphane Lissner, zurzeit Chef der Mailänder Scala, sowie der Intendant der Amsterdamer Oper, Pierre Audi. Ohne Lissner oder Audi herabzusetzen, scheint die Entscheidung für Pereira, von außen betrachtet, die einzig vernünftige zu sein.
Pereira ist Österreicher mit großem gesellschaftlichem Familienhintergrund, er hat die Zürcher Oper achtzehn Jahre hindurch zu einem Treffpunkt der internationalen Opernsociety gemacht, sorgte für Sängerglanz (für Salzburg wichtig, aber in der Schweiz dank vorteilhafterer Steuerstrukturen einfacher zu realisieren), bot Franz Welser-Möst die Chance, sich langfristig und kontinuierlich als genuiner Operndirigent zu profilieren, befestigte zugleich das finanzielle Fundament des Opernhauses dank beharrlicher Sponsorenpflege – dass die Zürcher Oper in Pereiras Zeit mittels Volksabstimmung in die Trägerschaft des Kantons befördert wurde, war eine Belohnung für erfolgreiche Arbeit.
Szenischen Experimenten, gewagten Neuinterpretationen des Repertoires gehörte Pereiras Vorliebe nicht. Zeheleins Stuttgarter Oper oder die Frankfurter Gielen-Ära waren für Pereira kaum Vorbild.
Das alles könnte die Vermutung nahe legen, dass Pereira genau der richtige Mann ist, die Salzburger Festspiele in schwieriger gewordenen Zeiten in die Zukunft zu führen – doch in was für eine Zukunft? Die Salzburger Festspiele betonen in den Äußerungen ihrer künstlerischen und administrativen Leiter gern ihre Exklusivität. Woraus besteht aber die Exklusivität, schon seit vielen Jahren?
Dass Regisseure, die in aller Welt heruminszenieren und irgendwie Aufsehen dabei erregen, schließlich auch in Salzburg arbeiten dürfen? Die Ergebnisse sind bekannt: Salzburg ist nicht exklusiv, sondern irgendwie ein ganz normales größeres und manchmal auch nur mittleres Operntheater wie überall im Lande. Nur ein Gegenbeispiel: an der Opéra de Lyon unter dem Intendanten Serge Dorny hat Peter Stein inzwischen schon ein halbes Dutzend Inszenierungen herausgebracht, darunter einen wunderbaren Tschaikowsky-Zyklus von dessen Puschkin-Opern sowie zuletzt eine faszinierende „Lulu“. Eine derartige Konstanz einer prägenden, hochstehenden Regiehandschrift würde auch den Salzburger Festspielen wohl anstehen – der gegenwärtige Mozart/da Ponte-Zyklus von Claus Guth ist in dieser Hinsicht wenigstens ein Ansatz, allerdings mit zwiespältigen Ergebnissen (Don Giovanni im Wald, Figaro im Stiegenhaus).
Pereira sollte sich nicht damit zufrieden geben, den internationalen Regisseur-Zirkus auch für Salzburg zu installieren. Warum nicht Peter Stein ein entsprechendes Angebot unterbreiten? Dass Stein seinerzeit bei Mortier als Schauspielchef in Unfrieden schied, muss ja nicht als endgültige Trennung betrachtet werden.
Erst wenn Pereira seine ausführlichen Konzepte für die Festspiele vorgelegt hat, kann darüber konstruktiv gesprochen werden. Alles andere wäre bestenfalls Spekulation. Wie man hört, möchte Pereira, dass Markus Hinterhäuser weiterhin das Konzertprogramm gestaltet. Das wäre schon einmal eine richtige Entscheidung – Hinterhäuser hat dem Konzertsektor der Festspiele schon in den ersten beiden Jahren seines Wirkens ein unverwechselbares, dramaturgisch überlegtes und modernes Profil verliehen, das auch vom Publikum begeistert aufgenommen wurde. Für das Schauspiel wäre zu überlegen, ob nicht die derzeit kleinteilige Versammlung fremder Theater mit mehr oder weniger experimentellen Aufführungen nicht durch ein größer geformtes Festspiel-Theater ersetzt werden könnte – bei Mortier hat ja Peter Stein Entsprechendes versucht (Shakespears Römer-Dramen in der Felsenreitschule).
Die Salzburger Festspiele, wollen sie in eine Zukunft weisen, müssten sich vom allgemeinen Stadttheater-Dunst befreien. Vielleicht müssten dafür auch einmal die finanziellen Rahmenbedingungen neu definiert werden. Wenn man siebzig Prozent des Etats einspielen muss, verengen sich die künstlerischen Perspektiven doch erheblich. Ohne ästhetische Setzungen aber verkümmern die Festspiele zum so genannten „Event“ – mit anderen Worten: sie werden uninteressant.