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Nachschlag 2010/11

Untertitel
Oper, halbiert
Publikationsdatum
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Nach Venedig und Hamburg steht in Leipzig die drittälteste Musiktheaterbühne Europas. Im Jahr 1692 erhielt die Stadt vom Dresdner Hof das Recht, Opern aufzuführen, und 1817 genehmigte Friedrich August I. – der Gerechte – ein ständig spielendes Stadttheater in der florierenden Messestadt. Das prächtige Haus am Augustusplatz von 1868 sollte den 2. Weltkrieg nicht überdauern. Bereits zehn Jahre nach Kriegsende begann die Stadt, ein neues Opernhaus im spätklassizistischen Stil zu erbauen. 1960 konnte der gebürtige Leipziger und Staatsratsvorsitzende Ulbricht den einzigen Theaterneubau der DDR-Geschichte einweihen. Eröffnet wurde das Haus mit Wagners „Meistersingern“ in der legendären Inszenierung von Joachim Herz.

9. Oktober 2010: Zum 50. Jahrestag der Eröffnung des neuen Opernhauses stehen wiederum die „Meistersinger“ auf dem Spielplan, diesmal in der Inszenierung von Chefregisseur Peter Konwitschny. Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) nahm nicht daran teil. Er hatte Prioritäten zu setzen und zog das zeitgleiche (!) Leipziger Lichterfest vor, das auf dem Augustusplatz vor der Oper an die friedliche Revolution vor 21 Jahren erinnern sollte. Im Inneren des Hauses wäre Jung möglicherweise in Erklärungsnöte geraten. Denn Leipzig sieht sich mit der Novellierung des sächsischen Kulturraumgesetzes konfrontiert, über die im Dezember 2010 im Sächsischen Landtag abgestimmt werden soll. Da die bisherige Regelung, nämlich ein Kulturlastenausgleich zwischen städtischen und ländlichen Räumen, nach der sächsischen Kreisgebietsreform neu geordnet werden muss, drohen der Stadt Kürzungen von Landesmitteln in Höhe von 2,5 Millionen Euro. Und das in Zeiten, in denen sie kürzlich den Leipziger Kultureinrichtungen eine kommunale Konsolidierung in Höhe von einer Million verordnet hat. Da das Rathaus die freie Szene und die anderen Kultureinrichtungen (dem Naturkundemuseum wurde mit Schließung gedroht) nicht noch mehr beschneiden will, soll die angekündigte 2,5-Millionen-Kürzung auf die sogenannte Hochkultur, die drei städtischen Eigenbetriebe Oper, Gewandhaus und Centraltheater, abgewälzt werden.

Im Leipziger Rathaus wird bereits seit geraumer Zeit der Rotstift in Sachen Kultur gespitzt. OB Jung droht der Oper mit einer Zwangspause von sechs Monaten pro Spielzeit, sollte in Dresden die Novellierung durchgesetzt werden. Bündnis 90/Die Grünen und die Linksfraktion können sich eine Kooperation zwischen Oper und Gewandhaus vorstellen. Das macht sich gut, wenn die Intendantenstelle an der Oper bald vakant wird. Zudem denken die Linken über eine mitteldeutsche Oper Leipzig-Chemnitz-Halle nach, die freilich nur auf Zusammenarbeit, nicht auf Fusion, basiert. Die FDP-Fraktion stimmt hier ausnahmsweise mit den Linken überein, auch sie orakelt über ein mitteldeutsches Opernkonstrukt.

Dabei hat die Leipziger Stadtverwaltung keinen geringen Anteil an der finanziellen Schieflage der Oper Leipzig. Angefangen hat es im Jahr 2007 mit dem unnötigen Rausschmiss des damaligen Intendanten Henri Maier. Der hatte nach der Ära seines Vorgängers das Publikum wieder in die Oper zurückgeholt. Udo Zimmermann hatte zwar hochlöbliche Inszenierungen mit entsprechendem Echo in den überregionalen Feuilletons auf die Bühne gebracht, den Zuschauerraum aber nach und nach leer inszeniert. 2005 wurde dann Riccardo Chailly Generalmusikdirektor in Leipzig. Allerdings setzte er sein Hauptaugenmerk auf Konzerte mit seinem Gewandhausorchester, das Verhältnis zum Opernhaus war von Anfang an problematisch. Die Stadt versprach ihm einen Spielraum, den sie nicht einhalten konnte. Maier konnte einerseits Chaillys Besetzungswünsche nicht erfüllen, andererseits bereiteten dem italienischen Stardirigenten die deutschen Repertoiretheatergepflogenheiten Probleme. Auf Chaillys Wunsch hin wurde Maier beurlaubt, kurz nachdem sein Vertrag bis 2011 verlängert worden war. Der Leipziger Stadtrat wurde von der Beurlaubung Maiers nicht informiert. Daraufhin lehnte eine Mehrzahl der Abgeordneten die Zahlung einer Abfindung in Höhe von 496.000 Euro ab. Mit dem Wissen, dass diese Entscheidung die Stadt noch teurer kommen würde. Denn jetzt wurde die Fortzahlung des Intendanten-Gehalts bis Mitte 2011 fällig. Maier hat bis heute keine neue Arbeitsstelle angenommen und freut sich über die misslungene Personalpolitik der Stadt Leipzig. Als sie es dann auch noch versäumte, Chailly vom Engagement Peter Konwitschnys vorab zu informieren, hat der Maestro 2008 das Handtuch an der Oper Leipzig geworfen. Und die Auslastung ist wieder auf das Niveau der Zimmermann-Ära gesunken. Die Sparmaßnahmen und die angekündigten Konsequenzen scheinen das Fass jetzt zum Überlaufen zu bringen. Leipziger Bürger, allen voran die Theaterleute, gehen wieder auf die Straße, um zu protestieren. Mit Unterschriftenlisten und einer Petition soll die Novellierung des Kulturraumgesetzes gestoppt werden. Inwieweit die Vorstellungen von Gerechtigkeit eines Friedrich August I. und der eines Sächsischen Landtages auseinandergehen, wird sich zeigen, wenn über die Novellierung abgestimmt wird.

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