Unser Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Peter Ramsauer, sorgt für Sicherheit auf Deutschlands Straßen. Und er ist begeisterter Hobbypianist und Liebhaber klassischer Musik, besonders Mozart hat es ihm angetan. Was hat das miteinander zu tun? Eigentlich nichts. Nun hat Ramsauer aber unter Berufung auf nicht näher benannte wissenschaftliche Erkenntnisse aus der Verkehrspsychologie seine Ambitionen miteinander verknüpft: Der Minister betätigt sich als Pianist auf einer Musik-CD für Autofahrer, mit dem Anspruch, damit die Straßenverkehrssicherheit zu erhöhen.
Die Internetseite www.adagio-im-auto.de, über die die CD mit dem Titel „Adagio im Auto. W. A. Mozart Klavierkonzerte“ vertrieben wird, liefert Auskunft. Ramsauer gibt den Schirmherrn für das Projekt und ist der einzige Hobbymusiker unter sonst professionellen Pianisten, allesamt Preisträger des Kulturkreises der deutschen Wirtschaft im BDI, der die CD als Sonderedition zu seinem 60. Jubiläum herausgibt. Alle Pianisten spielen mit dem Orchester der Deutschen Oper Berlin unter der Leitung von Stephan Frucht, der auch der Geschäftsführer des Kulturkreises ist, jeweils einen langsamen Mittelsatz aus einem Klavierkonzert Mozarts. Ramsauer selbst spielt das Andante aus dem C-Dur-Klavierkonzert Nr. 21. Die CD kostet sechs Euro, davon geht ein Euro als Spende an die Aktion Kinder-Unfallhilfe e.V. So weit, so gut!
Weniger überzeugend ist nun aber die – im Titel ausgedrückte, vom Minister gestützte und angeblich wissenschaftlich fundierte – Verlautbarung, die CD eigne sich speziell zum Hören beim Autofahren und fördere unfallfreies Fahren. So heißt es dort: „‘Adagio im Auto‘ ist ein neues Verkehrssicherheits-Projekt, von dem wir uns eine große Wirkung erhoffen. Denn klassische Musik hilft nachweislich, Unfälle zu vermeiden: Zahlreiche wissenschaftliche Studien bestätigen, dass langsame Musik die Nerven beruhigt und Stress beim Autofahren abbaut. […] Mit der neuen Mozart-CD kann jeder Verkehrssicherheit verschenken.“ Ramsauer formuliert es in seinem Grußwort so: „Sicheres Fahren erfordert entspannte Autofahrer. Einen wichtigen Beitrag hierzu leistet entsprechende Musik. […] All dies leistet klassische Musik.“ Mit wissenschaftlichen Erkenntnissen lassen sich derart generalisierte Ausführungen allerdings nicht vereinbaren.
Bereits in den 1980er-Jahren hat eine breit angelegte musikpsychologische Studie der Technischen Universität Berlin zum Thema „Musikhören und Verkehrssicherheit“ unter Leitung von Prof. Helga de la Motte-Haber differenziertere Ergebnisse zu Tage gefördert. Entspannung ist demnach nicht der entscheidende und schon gar nicht der allein maßgebliche Faktor, der Autofahrer sicher steuern lässt. Allzu entspannte Fahrer werden unaufmerksam und schlafen ein. Eine angemessene psychophysische Aktivierung, die Wachheit und Aufmerksamkeit auf ein günstiges Niveau hebt, fördert die Fahrtüchtigkeit. Sowohl eine zu hohe als auch eine zu niedrige Aktivierung hat nachteilige Folgen. Bringt man nun Musik als die Fahrleistung beeinflussenden Stimulus ins Spiel, so bedeutet das, dass sie keineswegs immer nur ruhig, leise oder ereignisarm sein sollte. Eine CD mit ausschließlich langsamen Klavierkonzertsätzen könnte sich unter diesem Aspekt durchaus als problematisch erweisen. Ein optimaler Grad an Aktivierung führt also zu den besten Fahrergebnissen. Wie dieser optimale Level erreicht werden kann, ist allerdings individuell sehr unterschiedlich und hängt auch von Umgebungsbedingungen ab, insbesondere von der Komplexität der Verkehrssituation. Es gehört längst zu den Gemeinplätzen in der Musikpsychologie, dass die Wirkung von Musik auch von Voraussetzungen abhängt, die die Hörer mitbringen, wie zum Beispiel musikalische Vorlieben, Vorbildung oder Stimmungslage. Würde man einem jungen Heavy Metal-Fan am Steuer eines Autos die Mozart-CD „Adagio im Auto“ vorspielen, so könnte sie Stress mit unerwünschten Effekten auf seine Fahrweise auslösen.
Die einzige Wissenschaftlerin, die sich auf der Website zu dem Projekt äußert, Prof. Maria Schuppert, Vizepräsidentin der Deutschen Gesellschaft für Musikphysiologie und Musikermedizin, formuliert deshalb vorsichtiger: „In spannungsgeladenen Situationen, wie zum Beispiel im Straßenverkehr, können diese Musikstücke daher eine wertvolle, die Sicherheit erhöhende Hilfe sein.“ Das trifft allerdings auch für unzählige andere Musikstücke zu. Warum also gerade die vorliegende Produktion als Verkehrssicherheitsprojekt deklariert wird, ist rätselhaft. Könnten etwa Marketing-Gründe eine Rolle gespielt haben? Die gut gemeinte und gemeinnützige Intention des Projekts rechtfertigt jedoch nicht alle Mittel.
Und gibt es nicht noch einen kleinen Unterschied zwischen uns Normalo-Autofahrern und dem Minister? Richtig: Wir fahren selbst, er aber wird gefahren. Im Fond einer komfortablen Limousine lassen sich langsame Mozart-Klänge sicherlich anders goutieren als am Steuer. Sollte sich bei dem Gefahrenen einmal totale Tiefenentspannung einstellen, so wird sein Chauffeur es hoffentlich richten, vielleicht indem er vorsichtshalber das Musikprogramm wechselt.