Hätte es bei irgendeiner politischen oder vereinsrechtlichen Wahl eine Wahlbeteiligung von 0,025 Prozent gegeben und hätten daraufhin 0,002 Prozent der abgegebenen Stimmen zur Erlangung eines Mandates ausgereicht, wäre das Geschrei groß gewesen.
Fast ganz ohne Geschrei wurde das Ergebnis der Wahlen der „Internet Corporation for Assigned Names and Numbers“ (ICANN) zur Kenntnis genommen, obschon es ebenso grotesk ist. Bei weltweit 300 Millionen wahlberechtigten Netznutzern lag die Wahlbeteiligung bei besagten 0,025 Prozent und knapp sechstausend der insgesamt 76.000 Stimmen reichten bei den „größten Online-Wahlen der Geschichte“ aus, um Andy Müller-Maghun zum „Europa-Direktor“ der ICANN zu machen.
Der Vorgang könnte als spaßgesellschaftlicher Beitrag im Guiness-Buch der Negativ-Rekorde abgelegt werden, ließe er nicht böse Folgen erwarten. Andy Müller-Maguhn ist kein virtuelles Cyberspace-Wesen, sondern der ehemalige Sprecher des Hamburger Chaos Computer Clubs. Der zum Gärtner gemachte Hacker-Bock wird künftig weltweit über die Vergabe von Webadressen-Endungen mitbefinden und ein gewichtiges Wort bei Entscheidungen haben, an welchem Punkt die bereits erreichte Unmenschlichkeit der Netzfreiheit endet. Freiheit für Faschisten, Kinderschänder und Börsengauner im virtuellen „Parallel-Universum“ des Netzes?
Unser besonderes Interesse gilt denjenigen Passagen seiner am 17. Oktober 2000 in der „FAZ“ veröffentlichten „Regierungserklärung“, in denen er – in Fortentwicklung der These Proudhons (?), Eigentum sei Diebstahl – die Rechtssysteme von Copyright und Urheberschaft attackiert. In seinem herrschaftsfreien Raum, führt Müller-Maguhn aus, werde „Geschenk-Kultur“ herrschen. „Was die Juristen ‚Geistiges Eigentum‘ nennen, ist nichts weiter als ein Diebstahl an öffentlichem Raum. Und da wir – die Netzbenutzer – jetzt keine Lust haben, uns den öffentlichen Raum durch diese Diebe kaputt machen zu lassen, mussten wir ein wenig provokativ werden.“ Blöde „Krawattis“ seien es, die da bürgerlich-altmodisch das Klonen von Dateien schlicht Raubkopieren nennen. Nicht der beraubte ist das Opfer, sondern der als solcher verfolgte Räuber, weil ihm im öffentlichen Raum des Netzes netzrechtswidrig das vorenthalten wird, was doch allen gehört.
Diese Ideologie vom „Kollektiven Netzeigentum“, die die Vernetzung nicht als neues Kommunikationsmittel in dieser, sondern als öffentlichen Raum in einer anderen „parallelen“ Welt betrachtet, in der zivile Regeln aufgehoben sind, ist alles andere als etwa von rührender Lächerlichkeit. Sie ist ernst zu nehmen, leistet sie doch – und sei es subkutan – den vielerorts ausmachbaren Tendenzen Vorschub, die Rechte am geistigen Eigentum und die Wertigkeiten künstlerischer Leistungen schrittweise zu demontieren.
Alle Inhaber von Rechten an geistigem Eigentum, seien es Autoren oder Künstler, seien es Verleger oder Verleiher, sollten den ihnen von „einem der wichtigsten Männer des Internet“ (so die „FAZ“) „im Namen der Göttin des Streits“ (so Müller-Maguhn) hingeworfenen Fehdehandschuh beherzt aufnehmen und sich nicht von dem obskuren Internet-Wahlverfahren und -ergebnis einlullen lassen. Andernfalls bildet sich Müller-Maguhn noch ein, er sei eine Art Schinderhannes oder Robin Hood des Internets.