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O süße Musik

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Ein Symposion, das jetzt im März von der Münchner Gesellschaft für Neue Musik veranstaltet wurde, stellte sich die Frage nach Neuer Musik und gesellschaftlicher Relevanz. Der große Andrang bewies, dass dieses Thema für viele von Interesse ist. Man darf vermuten, dass die gleiche Fragestellung in Bezug auf zeitgenössische Bildende Kunst oder auf zeitgenössische Literatur weit weniger Brisanz in sich tragen würde. Freilich bedient man dort auch eine Minderheit, aber es ist immerhin die der allgemein Kunstinteressierten oder die der anspruchsvollen Leser.

Bei der Musik ist das nicht so. Viele, die Schubert oder Mahler lieben, die sich in Beethovens letzten Quartetten zuhause fühlen, lehnen Stücke eines Nono, Cage oder Lachenmann ab – bis hin zum Argument, das sei keine Musik mehr. Und wohl in keiner Kunstgattung hat man schon öfter das Ende erblickt als in der Musik (die Kirche begann schon im Mittelalter mit der Ächtung der ersten Mehrstimmigkeit, das pflanzt sich fort durch die ganze Geschichte). Mahler soll zu Brahms, beide gingen an einem Bach spazieren, einmal gesagt haben, als dieser einen ähnlichen Verdacht äußerte: „Sehen Sie dort, die letzte Welle!“ Die Postmodernen in der Musik behaupteten dann in den 80er-Jahren des letzten Jahrhunderts definitiv, dass alle Wellen bereits geplätschert hätten und es nur noch das Zurück gäbe. Warum ist das so? Es geht wirklich nicht darum, all diejenigen, die sich mit Musik via Walkman nur die Ohren verschließen wollen (Lachenmann hat das einmal so bezeichnet), für die zeitgenössische Musik zu begeistern. Das Argument führen die Quotenjäger an, die die Vielzahl der Betäubungshörer gegen die Minderheit der Hörer mit offenen Ohren ausspielen. Aber es gibt in der Musik offensichtlich noch andere Trägheiten, die den Blick nach vorn verstellen. Die Musik des alten Beethoven zum Beispiel galt für viele Zeitgenossen nicht mehr als Musik. Oder ein Klemperer, der sich durchaus in jungen Jahren der Musik der Wiener Schule öffnete (und Trägheit des Hörens wird man ihm gewiss nicht vorwerfen), konnte mit der Musik Weberns nichts anfangen. Sie überschritt seinen Horizont. Ein Gielen kann nicht akzeptieren, dass Komponisten über autoritätsfreie Modelle des Musizierens nachdenken (immerhin gestand er in einer Diskussion zu dem Thema zu, dass dies andere nach seinem Abtreten dann probieren sollten). Und so setzt sich die Reihe vermutlich in alle Ewigkeit fort. Vielleicht liegt es auch daran, dass man in Musik heimisch werden kann, dass sie nebst aller tiefer, rationaler und emotionaler Auseinandersetzung auch das Gefühl des Angenehmen erzeugt (das also, worauf alle Betäubungshörer abfahren). Hier unterscheidet sich Musik von allen anderen Kunstformen. Sie kann eben auch Zeit verkürzen oder für andere Hörer auch die gleiche Zeit zur unerträglichen machen. Hierin ist, wie Olga Neuwirth einmal sagte, die Musik terroristisch, sie fordert die Zeit des anderen. Über dieses Phänomen hat die musikalische Moderne aus ideologischen Gründen zu wenig nachgedacht, denn das Angenehme widerspricht, gewiss zu Recht, einer emanzipierten Auffassung von Komposition und wird ohne weiteres der Unterhaltungsindustrie zugewiesen. Das aber ist eine Unterlassung. Keineswegs soll hier die Forderung aufgestellt werden, zeitgenössische Musik angenehmer einzukleiden, das wäre der vollkommen falsche Weg. Aber das Moment des Bedenkens dieses Faktors darf nicht einfach anderen Zuständigkeiten überwiesen werden. Emanzipierte, fortschrittliche Musik muss sich mit allen Wirkungsmechanismen des Erklingens auseinandersetzen, sonst beschneidet sie sich selbst. Tut sie es, dann mag sich die Kluft schließen. Die neuen, kühnen und radikalen Klänge hätten es verdient.

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