Am 23. April wandte sich Dietmar George, Geschäftsführer des Landesmusikrates Sachsen-Anhalt, mit einem offenen Brief an den Präsidenten des Deutschen Musikrats (DMR), Martin Maria Krüger, und an den Generalsekretär des DMR, Christian Höppner. Beide waren bis zu ihrem Austritt Mitglieder im Beirat des ECHO-Musikpreises des Bundesverbands Musikindustrie, der die Auszeichnung an die Rapper Kollegah und Farid Bang mitgetragen hatte. Mit Erlaubnis des Autors dokumentiert die nmz den Brief im Folgenden im Wortlaut sowie anschließend die Antwort des Präsidenten des Deutschen Musikrates, Martin Maria Krüger:
Sehr geehrter Professor Krüger,
sehr geehrter Professor Höppner,
in der vergangenen Woche ist es mir zunehmend ob der Ereignisse um die Echo-Preisverleihung und dem, was peu à peu über die Vorgänge im zugehörigen Beirat zutage tritt, schwieriger geworden, unvoreingenommen mein Amt als Geschäftsführer des Landesmusikrates Sachsen-Anhalt e. V. auszuüben und ist das Entsetzen darüber größer und größer geworden.
„Die Würde des Menschen ist unantastbar“, gibt das Grundgesetz im Artikel 1 vor. Das, nur das und nichts anderes ist die Grundlage unserer Kultur, der allein gültige Maßstab unserer Arbeit. Daraus folgt: Jede Freiheit, auch die der Kunst endet genau dort, wo sie die Würde des Menschen antastet. Diese Causa ist nicht umkehrbar, und die Würde des Menschen gegen anderes abzuwägen, ist im mildesten Falle Sophisterei.
Ein Generalsekretär des Deutschen Musikrats, der diese Basis verlässt, gehörte von seinem Präsidenten zurechtgewiesen und wieder auf die rechte Bahn gebracht. Wie soll das in diesem Fall aber geschehen? Der Generalsekretär, ein Angestellter des Deutschen Musikrats, vertrat hier im Mantel des Präsidenten des Deutschen Kulturrats scheinbar übergeordnete Interessen und entzieht sich damit formal der Personalhoheit des DMR. Der Deutsche Musikrat hat wesentliche Grundlagen und Bestandteile einer erfolgreichen Personalführung aus der Hand gegeben.
Aber wer soll diese Korrektur nun vollziehen, wenn selbst der Präsident des DMR diese Basis würdevollen Handelns im selben Gremium verließ? Beide hörten auf, ihrer Pflicht entsprechend für die Unantastbarkeit der Würde des Menschen einzustehen, sie gegen jedweden Versuch und jedwede Form der Herabsetzung zu verteidigen. Beide haben, sollten die publizierten Berichte darüber korrekt recherchiert sein, eklatant versagt.
Die Folgen Ihrer Entscheidung sind täglich in der Presse nachzuvollziehen. Sie, Professor Höppner, nennen es nun in der Öffentlichkeit verharmlosend einen „Fehler“, aber für mich ist es eine Katastrophe, weil es ein Skandal ist. Das Tamtam, das Sie lostraten, um die AfD-Abgeordneten vom Vorsitz des Kulturausschusses des Deutschen Bundestages fernzuhalten, erweist sich angesichts eigenen Versagens als Treppenwitz.
Es ist für mich beschämend und unvorstellbar, sollte das Schweigen andauern, um als wäre nichts geschehen eine wie auch immer geartete Kollegialität weiterpflegen zu wollen. Ich weiß mir nicht mehr anders zu helfen, als öffentlich zu fragen: Ein Präsident eines Deutschen Kulturrats, der das Grundverständnis des Gemeinwesens Deutschlands zugunsten einer Anbiederei an eine vermeintliche Jugendkultur fahren ließ, ein Präsident eines Deutschen Musikrats, der einen Generalsekretär nicht mehr führen kann und sich selbst vergaß – wie stark wird deren Stimme in Zukunft sein? Welche moralische und politische Kraft sollen die von Ihnen repräsentierten Organisationen im kulturpolitischen Widerstreit der Zukunft haben?
Ich bitte Sie um eine Antwort.
Mit freundlichen Grüßen, Ihr
Dietmar George
Antwort des Präsidenten des Deutschen Musikrates, Martin Maria Krüger:
Sehr geehrter Herr George,
den Eingang Ihres an Prof. Höppner und mich gerichteten Offenen Briefs vom 23. April darf ich hiermit bestätigen.
Einleitend ist festzuhalten, dass Prof. Höppner im Rahmen seiner Mitwirkung im ECHO- Beirat ausschließlich als Präsident des Deutschen Kulturrates gehandelt hat. Er wurde für dieses Amt seinerzeit durch das Präsidium des Deutschen Musikrates nominiert und nimmt es seither mit bemerkenswertem Erfolg wahr, wobei die eindeutige Abgrenzung zu seiner Tätigkeit als Generalsekretär des Deutschen Musikrates gleichermaßen notwendige wie einzig korrekte Geschäftsgrundlage ist. Da Ihr Schreiben ausweislich des Verteilers als musikratsintern zu betrachten ist, erlaube ich mir, in Abstimmung mit Prof. Höppner darauf zu antworten.
Der ECHO-Beirat wurde seinerzeit als Reaktion auf die Nominierung der Formation „Freiwild“ gegründet, um in diesem sowie gleichgearteten künftigen Fällen zu entscheiden, ob eine Nominierung untersagt werden solle. In zwei aufeinanderfolgenden Jahren bewährte es sich, letztlich von einem solchen Schritt abzusehen, da eine nachfolgende Preisverleihung sowie ein Auftritt in deren Rahmen unterblieben.
Im aktuellen Fall des Duos „Kollegah und Farid Bang“ war die Lage zum Zeitpunkt der Beirats-Anrufung wie folgt: Die Publikation von „Jung Brutal Gutaussehend 3“ war im zweistelligen Millionenbereich gestreamt worden. Die Nominierungsjury hatte die Nominierung beschlossen – was noch nicht die Zuerkennung eines ECHO durch die Preisjury und noch weniger einen Auftritt bedeutete. Der Beirat wurde angerufen unter Hinweis auf das Auschwitz-bezogene Satzfragment, welches in der Beilage des Songs „0815“ untergebracht war. Vermutlich aufgrund eines kritischen Artikels in BILD hatte das Duo sich auf seinem Post mittlerweile öffentlich entschuldigt und betont, dass es nicht als antisemitisch verstanden werden wolle.
Für den Beirat stellte sich die Frage, ob er die Nominierung untersagen solle im Spannungsfeld Kunstfreiheit (ungeachtet unserer sicher gemeinsamen persönlichen Haltung zum Genre Battle- bzw. Gangsta-Rap) und Verletzung gesellschaftlicher bzw. rechtlicher Normen. Insbesondere wurden in einer teils kontroversen Diskussion die möglichen Folgen einer Untersagung in die Überlegung einbezogen.
Der siebenköpfige Beirat entschied sich letztlich mit Ausnahme der Vertreterin der Katholischen Kirche – d.h. auch: z.B. unter Zustimmung des Vertreters der Evangelischen Kirche – dazu, in einer deutlichen öffentlichen Stellungnahme auf die massive Verletzung des sittlichen Empfindens hinzuweisen und eine grundlegende Diskussion im gesellschaftlich-politischen Raum zu fordern, um angesichts der zunehmend hinausgeschobenen Toleranzgrenzen (wieder) zu klaren Grenzziehungen zu kommen. Von einer Untersagung der Nominierung sah er ab. Im weiteren Verlauf erfolgte die Preisverleihung durch die hierfür zuständige Jury sowie die Gewährung eines öffentlichen Auftritts.
Campino in seiner berühmt gewordenen Rede im Rahmen der Preisverleihung sowie Kommentare z.B. des jeglichen Antisemitismus‘ unverdächtigen Spiegel online liegen nicht fern von der sehr deutlichen Stellungnahme des Beirats: Beide stellen fest, dass ein Verbot nicht die Lösung des Problems gewesen wäre, sondern dass es um die Wiederherstellung eines neuen gesellschaftlichen Konsens gehe. Dessen ungeachtet stellt sich im Licht der weiteren Ereignisse die Entscheidung des Beirats als Fehler dar, der jedoch nicht im Mindesten auf Missachtung des von Ihnen zitierten Grundrechts zurückzuführen ist. Mit unserem Austritt haben Christian Höppner die Konsequenzen gezogen.
Die längst notwendige Diskussion um Ziehung notwendiger Grenzen hat nun in Politik und Gesellschaft begonnen. Der Deutsche Kulturrat wird hierzu einen runden Tisch bilden, der Deutsche Musikrat nicht nur in diesem Zusammenhang seinen Beitrag, wo immer möglich im Zusammenwirken mit den Landesmusikräten, leisten.
Mit freundlichen Grüßen
Martin Maria Krüger
Ergänzend hierzu wünscht der Präsident die Übermittlung des Wortlauts der Beiratsentscheidung, die wir der Veröffentlichung durch die Organisation des ECHO gegenüberstellen. (Martin Maria Krüger: „Erst vor wenigen Tagen stellte ich fest, dass womöglich der Text außer in Auszügen nicht in die Öffentlichkeit gelangt ist. Im Interesse einer umfassenden Information scheint es mir unerlässlich, dies hiermit nachzuholen.“) - Wer den Unterschied findet, melde sich bitte bei hufner [at] nmz.de (hufner[at]nmz[dot]de)
Wortlaut der Beiratsentscheidung:
Bei der Nominierung der Künstler „Kollegah & Farid Bang“ mit dem Album „Jung Brutal Gutaussehend 3“ für den ECHO handelt es sich um einen absoluten Grenzfall zwischen Meinungs- und Kunstfreiheit und anderen elementaren Grundrechten. Wir stellen fest, dass dieses Album nicht auf dem Index der Bundesprüfstelle steht, schließen aber nicht aus, dass es noch eine behördliche Befassung geben sollte. Die Wortwahl einiger Texte, wie bei dem Titel „0815“ auf der Beilage-EP „§ 185“, ist provozierend, ist respektlos und voller Gewalt. Sie als Stilmittel des Battle-Raps zu verharmlosen, lehnen wir ab und möchten an dieser Stelle unsere deutliche Missbilligung gegenüber der Sprache und den getroffenen Aussagen unterstreichen.
Nach intensiver und teilweise kontroverser Diskussion sind wir dennoch mehrheitlich zu dem Ergebnis gekommen, dass ein formaler Ausschluss nicht der richtige Weg ist. Wir nehmen wahr, dass nicht nur in der Musik, sondern auch in anderen Bereichen der Kultur, wie in Film, Theater und Malerei, eklatante Tabubrüche zunehmend zu den Merkmalen der Kunstfreiheit gehören. Auch sehen wir, dass Hass und Gewalt im gesamten medialen Umfeld zunehmen. Wir halten diese aktuelle Entwicklung in unserer Gesellschaft für bedenklich und falsch und beobachten mit großer Sorge die Aufwärtsspirale, die sich auch in der verbalen Missachtung von Gesetzen ausdrückt. Deshalb appellieren wir an die politisch wie gesellschaftlich Verantwortlichen in unserem Land, eine ernsthafte Debatte über die Bedeutung und den Deutungsrahmen der Kunst- und Meinungsfreiheit zu führen. Es gilt, über alle Medienformen hinweg eine Institution zu bestimmen, die eine Plattform zur Auseinandersetzung mit diesem Thema schafft. Die Problematik, die an diesem Fall deutlich wird, reicht weit über den Musikpreis ECHO hinaus. Es ist eine Debatte, die die gesamte Gesellschaft betrifft. Wir sind bereit, uns aktiv an dieser Auseinandersetzung zu beteiligen.
Den Ausschluss des Albums „JBG3“ von einer etwaigen Zuerkennung eines Preises empfiehlt der Beirat jedoch mehrheitlich nicht.
Und hier die Veröffentlichung des Organisationsteams des ECHO:
Bei der Nominierung der Künstler ‚Kollegah & Farid Bang‘ mit dem Album ‚Jung Brutal Gutaussehend 3‘ für den ECHO handelt es sich um einen absoluten Grenzfall zwischen Meinungs- und Kunstfreiheit und anderen elementaren Grundrechten. Wir stellen fest, dass dieses Album nicht auf dem Index der Bundesprüfstelle steht, schließen aber nicht aus, dass es noch eine behördliche Befassung geben sollte. Die Wortwahl einiger Texte, wie bei dem Titel ‚0815‘ auf der Beilage-EP ‚§ 185‘, ist provozierend, respektlos und voller Gewalt. Sie als Stilmittel des Battle-Raps zu verharmlosen, lehnen wir ab und möchten an dieser Stelle unsere deutliche Missbilligung gegenüber der Sprache und den getroffenen Aussagen unterstreichen.
Nach intensiver und teilweise kontroverser Diskussion sind wir dennoch mehrheitlich zu dem Ergebnis gekommen, dass ein formaler Ausschluss nicht der richtige Weg ist. Wir nehmen wahr, dass nicht nur in der Musik, sondern auch in anderen Bereichen der Kultur, wie in Film, Theater und Malerei, eklatante Tabubrüche zunehmend zu den Merkmalen der Kunstfreiheit gehören. Auch sehen wir, dass Hass und Gewalt im gesamten medialen Umfeld zunehmen. Wir halten diese aktuelle Entwicklung in unserer Gesellschaft für bedenklich und falsch und beobachten mit großer Sorge die Aufwärtsspirale, die sich auch in der verbalen Missachtung von Gesetzen ausdrückt. Deshalb appellieren wir an die politisch wie gesellschaftlich Verantwortlichen in unserem Land, eine ernsthafte Debatte über die Bedeutung und den Deutungsrahmen der Kunst- und Meinungsfreiheit zu führen. Es gilt, über alle Medienformen hinweg eine Institution zu bestimmen, die eine Plattform zur Auseinandersetzung mit diesem Thema schafft. Die Problematik, die an diesem Fall deutlich wird, reicht weit über den Musikpreis ECHO hinaus. Es ist eine Debatte, die die gesamte Gesellschaft betrifft. Wir sind bereit, uns aktiv an dieser Auseinandersetzung zu beteiligen.
Den Ausschluss des Albums ‚JBG3‘ von einer etwaigen Zuerkennung eines Preises empfiehlt der Beirat jedoch mehrheitlich nicht.
- Siehe auch die Seiten 7 und 20.