Während noch nicht ganz klar ist, ob Benito – äh, sorry – Silvio Berlusconi seine mediale und somit politische Macht nutzen kann, um die Wahl in Italien erfolgreich anzufechten und dem politischen Gegner Wahlbetrug unterzuschieben; während der iranische Präsident in alle Welt posaunt, dass es seinem Land auf dem Weg zur Bombe gelungen ist, Uran anzureichern; während sich die Amis für einen weiteren Krieg rüsten; während das von jedem aufrechten Fußballfan erwartete „Wunder vom Millerntor“ ausgeblieben ist, während in Indien ein Schauspielstar stirbt und daraufhin Massenunruhen ausbrechen und mir ein „Die spinnen, die Inder“ durchs Hirngebälk zischt; während sich all das und noch vieles mehr auf unserem Planeten zuträgt, sitze ich hier in meiner kleinen Butze, einen Tag vor dem Tag, an dem vor bald 2000 Jahren eine Art Freiheitskämpfer von seinen eigenen Landsleuten ermordet wurde, weil deren Führer es für erstrebenswerter hielten, sich mit den Okkupanten ihres Landes zu arrangieren, hielt das doch die politische Lage im Lande einiger-maßen stabil und die eigenen Vorratskeller prall gefüllt ... – sitze ich also hier in meiner kleinen Butze und starre bewegungslos zum Fenster hinaus. Die Warterei auf den Frühling kann zermürbend sein.
Die Karwoche (so sagt man bei uns im katholischen Baden-Württemberg) des Jahres 2006, die manchen Zeitgenossen als die Woche des Berlusconi-Abgangs oder sonst irgendwie in Erinnerung bleiben wird, nenne ich – vom Hass zerfressen – die Sechs-Grad-Celsius-Woche. Große Dinge hatte ich mir vorgenommen. Sämtliche Gitarren neu besaitet. Die Single-Coiler mit den .010ern bis .046ern, die Humbucker mit den .010ern bis .052ern, die Akustische mit einer .012 auf der 1 bis hoch zur .053 auf der 6, Optimismus und wohlig warmen Sonnenschein verkündende Balladen, angereichert mit meinem glockenhellen Gesang; erdige, die blutige Revolution der Unterdrückten (auch auf die Gefahr hin, dass die gar nicht mitmachen wollen, die Unterdrückten) proklamierende Gitarrenwände; Soli, die sich in messerscharfen Glissandi in atemberaubender Geschwindigkeit gen Himmel schrauben ... Ja, ich hatte mir für die arbeitsfreie Karwoche sogar vorgenommen, das Klavierspiel zu erlernen. In einem Schnellkursus, dessen Methodik und Didaktik ich selbst ausgearbeitet habe: „Richard Clabauterman in 5 days“. Stattdessen sitze ich hier am Fenster und starre in den einheitsgrauen Himmel hinauf. Der so einheitsgrau ist, dass selbst ein „Cloudspotting“ unmöglich ist. Das Thermometer zeigt, wie seit Tagen zu jeder Tag- und Nachtzeit, sechs Grad Celsius. Über die blaugefrorenen Füße gestülpt, trage ich zwei Paar dicke Baumwollsocken und trinke ständig dampfendheißes, leckeres italienisches Nationalgetränk. Die letzte Nacht verbrachte ich frierend unter zwei Bettdecken. Meine Finger sind völlig steif und ich kann nicht mal mehr einen popeligen e-Moll greifen. Wozu auch? Er würde auf dem Weg durch die Lüfte erfrieren und auf dem Boden zerschellen. Gnadenlos.