Die Oper war schon immer ein multimediales Spektakel. Das gilt nicht nur mit Blick auf die Musik, sondern vielfach hinsichtlich der Besetzung. Vor allem im 17. und 18. Jahrhundert konnte man an den potent ausgestatteten Häusern in eine gelegentlich unübersichtliche Personage investieren. Zu Zeiten der Grand Opera tummelten sich neben Solisten dann ganze Völkerscharen auf der Bühne. Die Opulenz blieb (auch dank Richard Wagner) bis ins 20. Jahrhundert erhalten – und erfährt in den Trois Operà-Minute (1927/28) von Darius Milhaud vielleicht eine ihrer interessantesten (und seltsam selten aufgeführten) Brechungen.
Reihe 9 (#3) – Emojis und Illusionen
Spektakel bedeutet häufig auch ein Feuerwerk auf der Bühne: mit ausgefallenen Kostümen, einer aufwendig betriebenen Technik und Beleuchtung, oft indes mit einer sich in den Vordergrund spielenden Inszenierung – bei der dann gerne auch einmal in die Substanz der Partitur eingegriffen wird oder sich das Regiekonzept überhaupt gegen den Komponisten und sein Werk wendet. Dies betrifft nicht nur das eine oder andere Standardwerk, sondern oft auch Repertoireentdeckungen, denen man von Seiten der Inszenierung nichts zutraut oder sie zur bloß musikalischen Folie degradiert (und dann die treuen Abonnenten ratlos zurücklässt). Mit einigem Schauder denke ich immer noch an eine intellektuell aus dem Ruder gelaufene Inszenierung von Schuberts freilich nicht ganz unproblematischem jugendlichem Dreiakter Des Teufels Lustschloss (1813/14) am Mainfränkischen Theater zurück (2012/13).
Dass es aber nicht immer der Menschenmassen oder skurriler Ideen bedarf, um ein Werk einmal ganz anderes (und dabei auch witzig) zu deuten, zeigen aktuell zwei Rossini-Inszenierungen, die das Publikum begeistern. Da versetzt Kirill Serebrennikov an der Komischen Oper in Berlin den Barbier von Sevilla mit ebenso sicherer wie leichter Hand in die Sphäre junger Erwachsener der alles kommunizierenden und doch orientierungslosen Jetztzeit. Da wird bei Arie und Ensemble die momentane Gefühlslage mit Emojis haltlos über WhatsApp kommentiert und wild bei Facebook gepostet (s. unten: Bild 1).
Ein Stück Lebenswirklichkeit auf der Bühne – nur dass wohl kaum jemand den doppelten Boden bemerkt haben wird: Nicht nur Beziehungsstatus und Bildergalerie sind auf der Leinwand öffentlich, sondern auch die privaten Nachrichten. Hier lesen alle mit. – Surrealistisch und mit gekonnter Täuschung der Sinne geht es hingegen am Kieler Opernhaus zu, wo Pier Francesco Masestrini (unterstützt von Joshua Held) Rossinis letzte italienische Oper Die Reise nach Reims als multimediale Comic-Inszenierung über die Bühne gehen lässt (s. unten: Bild 2).
Da eine wirkliche Handlung schon im Original nicht existiert (alle warten vergeblich, dass es endlich weitergeht), ist hier reichlich Freiraum gegeben, ein Freiraum, der mit Lust und frechem Charme die Szene füllt: mal illustrierend, mal illusionierend, am Ende gar bis hin zum politischen Statement. Hintergründig, unterhaltsam – und damit auch ein Spektakel.
Über Reihe 9
Immer am 9. des Monats setzt sich Michael Kube für uns in die Reihe 9 – mit ernsten, nachdenklichen, manchmal aber auch vergnüglichen Kommentaren zu aktuellen Entwicklungen und dem alltäglichen Musikbetrieb. Die Folgen #1 bis #72 erschienen von 2017 bis 2022 in der Schweizer Musikzeitung (online). Für die nmz schreibt Michael Kube regelmäßig seit 2009.
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