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Gerade abgewinkelte Stuhlreihen. Schwarzes Polster, brauner Holzboden. Im hintergrund sieht man die weißen Begrenzungen des Ranges.

Reihe 9 im Theater Pforzheim.

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Reihe 9 (#31) – Zu viel Liebe

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Kreuz, Pik, Herz und Karo. Nein, es geht heute nicht um die Kunst des Kartenspiels, um Skat, Rommé oder Mau-Mau. Und doch fühlt man sich an zu vielen Abenden im Konzertsaal wie im Opernhaus nicht im besten Spiel. Zu oft und zu häufig wird vor wirklichen Innovationen ausgesetzt, und am Ende liegt im Stich doch nur das Einerlei des „großen Repertoires“.

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Strawinskys Jeu de Cartes (1936), ein Ballett in drei Runden, habe ich jedenfalls noch nicht live hören oder sehen können. Besser geht es mit der Pique Dame von Peter Tschaikowsky, die während der letzten 15 Jahre in 302 Produktionen insgesamt 1295 Mal erklang – aktuell Platz 41 auf der Liste der meistgespielten Opern.

Warum sind aber auf den Podien und Bühnen nur so wenige der sogenannten Ausgrabungen zu finden? Wie wäre es etwa, das Ohr an die besten Werke der einstigen Avantgarde zu legen – Kompositionen, die einem Großteil des Publikums heute auch im Ansatz nicht mehr bekannt sein dürften. Fehlt es an Kennerschaft, dem richtigen Blick und vor allem am Mut der Intendanten und Programmplaner? Wer ist (Ligetis Lontano vielleicht ausgenommen) einer der großen Partituren aus den 60er-, 70er- oder frühen 80er-Jahren im Konzertsaal je begegnet, einem Werk beispielsweise von Luciano Berio, Cristóbal Halffter, dem frühen Penderecki oder Stockhausen? Ist es auf Seiten der Orchester die Sorge, beim Publikum noch immer schwerste Überzeugungsarbeit leisten zu müssen? Oder sind es die Dienstpläne eines voll besetzten Orchesters, die das Fürchten lehren? Gar die zu zahlenden Gebühren und Tantiemen? Kaum anders sieht es in der Oper aus. Die Zeiten der Trüffel-Sucher aus den Jahrzehnten um die Jahrtausendwende, vielfach dokumentiert auf CD, sind schon lange vorbei. Wer etwa aktuell in den einschlägigen Magazinen die Vorankündigungen für die kommende Saison durchsieht, muss die Lupe zu Hand nehmen, um vor lauter Standards und aktuellen Stücken das wirklich Besondere zu finden.

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Die Darsteller*innen bilden unfreiwillig eine Polonaise, weil jede und jeder was von der oder dem nächst Niedrigergestellten will.

„Die Liebe zu den drei Orangen“ im Theater Pforzheim: Clarice (Lisa Wedekind), der Kreuz-König (Lukas Schmid-Wedekind) und Pantalone (Paul Jadach) amüsieren sich über die Fresser (Jugendspielclub des Theaters Pforzheim).

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Doch auch die vergangene Saison hatte im deutschen Südwesten ein „Highlight“ unter den zahllosen Überschneidungen zu bieten. Gleich drei Opernhäuser waren im Frühjahr Prokofjews Liebe zu den drei Orangen erlegen: erst das Staatstheater in Stuttgart, später dann das in Mainz und das Theater Pforzheim. Luftlinie: 37 km und 127 km (von Pforzheim aus gerechnet). Vielleicht wären diese Doppelungen nicht so aufgefallen, wäre am Main und an der Enz nicht am selben Abend zeitgleich Premiere gewesen. Interessiert hat dieser Umstand in der föderalen Republik (wie auch zwischen Württemberg und Baden) freilich niemanden so recht. Als es vor etwa 20 Jahren in Berlin unter den drei Opernhäusern eine ähnliche Situation um die Zauberflöte gab, war indes noch der Aufschrei groß. Die Zeiten aber haben sich offenbar geändert. Und Hand aufs Herz: Wenn man für den Besuch einer Oper (ich meine damit: das Werk an sich) nicht mehr so mobil sein muss, dann darf das auch als kultureller Beitrag zum Klimaschutz gerechnet werden.

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Die in einer reduzierten Orchesterbesetzung am Theater Pforzheim aufgeführte Liebe zu den drei Orangen war jedenfalls von ausgezeichneter Reife. Eine geistreich-spielerische Inszenierung und eine rundum ordentliche sängerische wie musikalische Leistung sorgten im Publikum für eine ebenso aufmerksame wie heitere Stimmung. Auch akustisch überzeugte das 1990 eröffnete Theater. Mehr aber noch werden mir die vorbildlich bequemen und mit großzügiger Beinfreiheit versehenen Sitze in Erinnerung bleiben: Oper in der Business-Class.

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Ihr

Michael Kube

Reihe 9

Immer am 9. des Monats setzt sich Michael Kube für uns in die Reihe 9 – mit ernsten, nachdenklichen, manchmal aber auch vergnüglichen Kommentaren zu aktuellen Entwicklungen und dem alltäglichen Musikbetrieb. Die Folgen #1 bis #72 erschienen von 2017 bis 2022 in der Schweizer Musikzeitung (online). Für die nmz schreibt Michael Kube regelmäßig seit 2009.

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