Selten, viel zu selten, begegnet einem eine wirklich gute, originelle und keineswegs bloss gewollte Programmdramaturgie. Gerade im Orchesterbereich gibt es (zu) viele Variablen, die sich fügen müssen: Wann wurde ein Werk zuletzt gespielt? Innerhalb einer Saison sollte es zudem kein zweites Mal erklingen. Zudem haben Dirigentinnen und Dirigenten ein erhebliches Mitspracherecht. Noch schwieriger wird es bei der „Auswahl“ des Solo-Konzerts, denn viele Solistinnen reisen pro Saison gerade mal mit einer Handvoll Werke durch die Lande. Ein Puzzlespiel für die Dramaturgie, an dessen Ende oft genug ein Kompromiss steht.
Reihe 9 (#71) – elbwærts
Doch auch Ensembles, zumal feste Formationen wie Streichquartette und Klaviertrios, neigen zu Reduktionen und legen sich für jede Spielzeit eine kleine Auswahl „fertiger“ Werkfolgen zurecht. Einige Pianisten behalten sich hingegen oft genug bis zum letzten Moment vor, was sie spielen. Bis dahin findet sich in den Vorschauen der Hinweis „Das Programm stand bei Drucklegung noch nicht fest“ oder schlicht: „tba“ (to be announced).
Mit solchen Problemen sind die vielen selbstverwalteten Ensembles für „Alte Musik“ kaum konfrontiert. Je weiter in der Musikgeschichte zurückgegangen wird, desto mehr stellen sich die Fragen anders. Oft liegt den Programmen eine eigene Quellenrecherche zugrunde, zumal für das historische Umfeld. Anders als beim klassisch-romantischen Repertoire werden daher nur selten Werke aus verschiedenen Epochen oder Jahrhunderten nebeneinandergestellt. Vielmehr geht es um die innere Konsistenz, mit der ein in sich geschlossenes klingendes Bild der Vergangenheit gezeichnet wird.
So wie bei „elbwærts“, einem Projekt der Hamburger Ratsmusik um Simone Eckert und dem Theatre of Voices, Kopenhagen. Ausgangspunkt war der 350. Todestag von Heinrich Schütz. Doch statt einem einfach zu bindenden Strauss Geistlicher Konzerte wurde der Fokus auf die beiden Reisen von Schütz nach Kopenhagen (1633 und 1642) gelegt – kombiniert mit Werken aus dem weiteren biografischen und kollegialen Kontext: So erklang etwa eine Pavane von Moritz Landgraf von Hessen, ebenso Stücke der in Venedig ausgebildeten dänischen Madrigalisten Mogens Pedersøn und Hans Brachrogge.
Wie einst der Reiseweg von Schütz führt auch die Tournee der Ratsmusik elbabwärts von Sachsen bis nach Hamburg und über Schleswig-Holstein nach Dänemark. Dass bei den insgesamt 19 Auftritten in der Mehrzahl an „kleinen“ Spielstätten in der Region Halt gemacht wurde, entspricht dem intimen Charakter der Musik und wurde vom Publikum dankbar angenommen. Die gut erhaltene Kapelle des Gottorfer Schlosses (Schleswig) wird Schütz wohl einst auch selbst besucht haben …
Ihr
Michael Kube
REIHE 9
Immer am 9. des Monats setzt sich Michael Kube für uns in die Reihe 9 – mit ernsten, nachdenklichen, manchmal aber auch vergnüglichen Kommentaren zu aktuellen Entwicklungen und dem alltäglichen Musikbetrieb. Die Folgen #1 bis #72 erschienen von 2017 bis 2022 in der Schweizer Musikzeitung (online). Für die nmz schreibt Michael Kube regelmäßig seit 2009.
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