Noch gibt es sie: Zettel, Hefte – und manchmal auch Programmbücher. In Zeiten stetig steigender Papierpreise wie digitaler Angebote geraten auch die einst so selbstverständlichen, ein Konzert begleitenden „Ephemera“ inzwischen auf die immer länger werdende Liste der bedrohten Kulturgüter.
Reihe 9 (#90) – Ephemera
Komponisten mit Lebensdaten, der Werktitel mit Opuszahl oder Werkverzeichnisnummer, die Satzfolge, die Ausführenden. Ein must have auf jeder Form dieser gedruckten Eintagsfliegen, die nach dem Konzert ihre primäre Pflicht erfüllt haben. Einige finden sich dann im Foyer abgelegt, andere werden pflichtbewusst nach Hause getragen, doch nur wenige werden aufgehoben oder gar gesammelt. Dabei könnte eine gute und systematische Sammlung eines fernen Tages das Musikleben von heute dokumentieren (auch im Sinne der Langzeitarchivierung), denn selbst Bibliotheken und Archive sehen sich mit nur wenigen lokalspezifischen Ausnahmen nicht in der Pflicht, derlei Gedrucktes zu bewahren. Vor einigen Monaten fiel mir an einem solchen „dritten Ort“ ein mehr als 20 Jahre alter ungeöffneter Briefumschlag in die Hände – der Inhalt: bunte A5-Zettel mit Programmen und Ankündigungen der damals anstehenden Veranstaltungen eines „Vereins der Musikfreunde“. Ein Fund, der nach Jahrzehnten überraschenden Wert gewinnt.
Natürlich können Programmhefte auch furchtbar langweilig sein. Ich meine nicht die hoffentlich gut informierende Werkeinführung, sondern die sich anschließenden Künstler-Biographien mit der ewigen Litanei der immer gleichen Aufzählung von Orchestern, Dirigenten, Sälen, Labels und Auszeichnungen. Häufig genug überflüssig, viel zu lang und austauschbar. Gut aufbereitet indes, hübsch in Form gebracht und solide hergestellt, gibt eine solche Drucksache dem einzelnen Konzert mehr Bedeutung als manch digitales (Zusatz-)Angebot – vom Podcast bis zur im Konzert parallel mitlaufenden „Wolfgang-App“, die das musikalische Geschehen für Handy-Benutzer allzu hermeneutisch unterlegt. Nur noch selten kommt bei den Heften das qualitativ hochstehenden Offset-Verfahren auf schönem Papier zum Einsatz. Der Digitaldruck ist einfach billiger, das manchmal auf die Finger abfärbende gestrichene Papier auch. Und überhaupt: Ist es zeitgemäß, für eine derartige Druckversion noch ein paar Euro zu verlangen, wenn die Datei auch online verfügbar ist? Einige Konzerthäuser gehen inzwischen einen anderen Weg und verteilen die günstig produzierten Hefte ganz bewusst gratis an das Publikum!
Geradezu opulent ist hingegen so manches Programmbuch ausgestattet – wie etwa das zur diesjährigen Verleihung des Ernst von Siemens Musikpreises: 116 Seiten mit zahlreichen farbigen Fotos, Abbildungen und Faksimiles, graphisch übersichtlich und geschmackvoll gestaltet, inhaltlich in die Tiefe gehend und mit englischsprachigen Übersetzungen aller Texte. Man mag dieses „giveaway“ für Luxus halten, andererseits ist es ein Druckwerk, das den festlichen und musikalisch-multimedialen Abend in Erinnerung hält. Und genau darin liegt ja auch der Mehrwert dieser nicht mehr überall geschätzten Ephemera – selbst wenn es an anderen Orten mit deutlich weniger Budget mitunter nur ein eilig kopierter Zettel ist.
REIHE 9
Immer am 9. des Monats setzt sich Michael Kube für uns in die Reihe 9 – mit ernsten, nachdenklichen, manchmal aber auch vergnüglichen Kommentaren zu aktuellen Entwicklungen und dem alltäglichen Musikbetrieb. Die Folgen #1 bis #72 erschienen von 2017 bis 2022 in der Schweizer Musikzeitung (online). Für die nmz schreibt Michael Kube regelmäßig seit 2009.
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