So etwas ist dem Geiger und Pianisten Kolja Lessing in seiner jahrzehntelangen Zusammenarbeit mit ARD-Anstalten noch nie passiert: Der MDR strich eine schon lange verbindlich vereinbarte Musikproduktion mit dem Argument, die zur Aufnahme vorgesehenen Werke seien „nicht sende-relevant“. Dabei handelt es sich um wenig bekannte Violinsonaten der Komponisten Erwin Schulhoff (Nr. 1, 1913) und Issay Dobrowen (op. 15), deren Wirken aufs engste mit Leipzig und Dresden verknüpft war.
Erwin Schulhoff studierte bei Max Reger in Leipzig und gründete später die Reihe der „Fortschrittskonzerte“. Der russisch-jüdische Dirigent, Pianist und Komponist Issay Dobrowen lebte ab 1922 in Dresden, von wo er 1934 nach Norwegen floh. Nach der deutschen Invasion musste er 1940 von weiter nach Schweden flüchten.
Prof. Lessing, der sich schon lange besonders qualifiziert für Musik verfemter Komponisten einsetzt, bewertet den skandalösen Vorgang als „Ausdruck einer neuen Diffamierung und Ausgrenzung einst verfemter jüdischer Komponisten“.
Indem die verantwortliche Redakteurin Angela Kaiser, die bis 2004 beim NDR Kultur Sendungen wie „Klassisch in die Nacht“, „KlassikClub“ und „Klassikboulevard“ betreute, die genannten Kompositionen für „nicht senderelevant“ erklärte, erhob sie offenbar die Einschaltquote zum Maßstab. Eine solche zensurierende Einengung des Repertoires entspricht in keiner Weise dem Programmauftrag eines öffentlich-rechtlichen Senders.
Albrecht Dümlings Alarmruf blieb nicht die einzige Meldung aus Halle. Durch den vorzeitigen Abschied von MDR-Intendant Udo Reiter stehen am 26. September Intendantenwahlen beim MDR an – und sofort glimmt in der zeitgenössisch orientierten Musikgemeinde die Hoffnung auf, dass ein Musikliebhaber den Posten bekommt. Das wäre gerade für den Bereich Neuer Musik wünschenswert. Denn da tut sich nicht mehr viel im Dreiländersender: Eine Redaktion für Neue Musik existiert nicht mehr, ein Interesse an den im Sendegebiet aktiven Künstlern scheint auch nicht vorhanden zu sein. Diesen Eindruck vermittelt auch das Programmheft des diesjährigen Tonlagenfestivals in Dresden, dem größten Event zeitgenössischer Musik in den neuen Bundesländern. Das Logo des MDR taucht dort auf keiner Seite auf, was im Klartext heißt: kein Mitschnitt, nicht einmal beim Jubiläumskonzert für Steve Reich, der im Oktober seinen 70. Geburtstag begeht. Diese ernüchternde Lektüre lässt insbesondere vor dem Hintergrund des Betrugsfalls beim KI.KA sowie merkwürdigen Geldgeschäften in der Fernsehunterhaltung den Eindruck entstehen, dass beim skandalgeschüttelten MDR radikales Outsourcing bei konsequenter Anpassung der senderelevanten Inhalte an den Publikumsgeschmack optimale Akzeptanz bewirken: bei Zuhörern, Zusehern und privaten Zulieferern. +++ nmz