Aus gegebenem Anlass (siehe die aktuelle Meldung zur Entscheidung des SWR-Rundfunkrates ) veröffentlichen wir Theo Geißlers Leitartikel aus der soeben erschienenen Juli/August-Ausgabe der neuen musikzeitung: „Es stinkt der Fisch vom Kopfe her? Soll niemand sagen, die südwestdeutsche Rundfunklandschaft hätte einst nicht mutige, engagierte, kulturbewusste Intendanten gehabt.“ Der Autor hat in einem Kommentar eine missverständliche Formulierung in Sachen "Deutsche Radiophilharmonie" erläutert - und seinen Beitrag um einige Wertungen ergänzt.
Es stinkt der Fisch vom Kopfe her? Soll niemand sagen, die südwestdeutsche Rundfunklandschaft hätte einst nicht mutige, engagierte, kulturbewusste Intendanten gehabt.
Gleich nach dem Zweiten Weltkrieg, 1946, übernahm der Germanist und Kunstgeschichtler Friedrich Bischoff die Leitung des soeben der Asche entstiegenen Südwestfunks Baden-Baden. In seine fast zwanzigjährige Amtszeit fällt neben dem Aufbau der Klangkörper das Engagement Heinrich Strobels, eines höchst innovativen, bestens vernetzten Musikabteilungsleiters. Ferner die Einrichtung des heute hoch renommierten Karl-Sczuka-Preises zunächst für Hörspielmusik, dann erweitert für avancierte Werke der Radiokunst. Ausgezeichnet wird seit 1972 im Rahmen der Donaueschinger Musiktage „die beste Produktion eines Hörwerks, das in akustischen Spielformen musikalische Materialien und Strukturen benutzt“.
Bischoffs Pendant beim damaligen Süddeutschen Rundfunk, Fritz Eberhard, Journalist und antifaschistischer Widerstandskämpfer, machte sich im Parlamentarischen Rat für das Recht auf Wehrdienstverweigerung stark, galt gerade auch als kulturpolitisch engagiert. Auf Bischoff folgte beim SWF Helmut Hammerschmidt, ein streitbarer Programmgestalter, der Verwaltung und aufkeimendes Marketing für eher sekundär hielt. Derweil legte beim SDR Hans Bausch sein CDU-Landtagsmandat nach seiner Wahl zum Intendanten nieder und opponierte kräftig gegen die von der Parteispitze (damals noch Konrad Adenauer) ersehnte Einrichtung privater Fernsehprogramme. Von da an ging’s bergab. Beim SDR bekam mit Hermann Fünfgeld ein strammer CDU-Parteisoldat und Diplom-Volkswirt das Sender-Ruder zugeschanzt. Sein Parteikollege, der Jurist und Landtagsabgeordnete Willibald Hilf baute den SWF – so die hausinterne Galgenhumor-Definition – in die „Willibald-Hilf-Kathedrale St. Megahertz“ um. Hauptverdienst: die Vertreibung von Franz Alt als Moderator aus dem Fernsehen – wegen Verbreitung wirtschaftsfeindlicher ökologischer Ideologien.
Auf Hilf folgte – Musikmenschen in bester schlechter Erinnerung – Peter Voß. Noch im mentalen Schulterschluss mit Parteifreund Fünfgeld komprimierte er – schon als Schmelztiegel der Senderfusion SDR/SWF zum SWR ins Amt gelobt – das zum SWR gehörende kleinere Rundfunkorchester Kaiserslautern 2007 mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester des Saarlands zur Deutschen Radiophilharmonie. Hörbar kein Qualitäts-Gewinn.
Ferner traf Voßens schmaler Sparverstand das SWR-Vokalensemble in Stuttgart hart, dessen Planstellenzahl „im Rahmen der normalen Fluktuation und unter Ausnutzung der Möglichkeiten von Vorruhestandsregelungen“ von 36 auf 24 reduziert werden soll. Ein Prozess, der aktuell nicht abgeschlossen ist. Eine kulturelle Emanation von Peter Voß, der Lyrikband „Zwischen den Kratern“ aus dem Jahr 2000, ist gebraucht bei Amazon für Euro 2,05 erhältlich. Ein egomanisches Kitsch-Produkt.
Und jetzt Peter Boudgoust. Jurist, dann Pressesprecher des Regierungspräsidiums Stuttgart, Justitiar und Finanzdirektor des SDR, Verwaltungsdirektor des SWR und Geschäftsführer der SWR Holding GmbH, Vorsitzender der ARD/ZDF Arbeitsgruppe Rundfunkgebühren, früher schon Vorsitzender der ARD-Finanzkommission. Seit Mai 2007 Intendant des Senders. Ein offensichtlich zahlenkompetenter Mensch, der die Klangkörper des SWR ungefähr je hälftig retten will, indem er sie rechnerisch korrekt zusammenklittert. Aus reiner Fürsorge und Weitsicht natürlich. Er ist nämlich auch Finanz-Prophet: Was sonst noch niemand exakt berechnen kann, die Einnahme-Entwicklung für die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten nach der Gebühren-Reform – Boudgoust hat die Zukunfts-Zahlen. Er sieht Einbrüche als finsteres Menetekel schon klar an seiner Bürowand. Und tragisch zu Boden tropfen aufopfernd den Sender rettend die allzu fetten Orchester-Etats.
Dazu der Freiburger Rechtswissenschaftler Friedrich Schoch in epd Medien: „Eine gesicherte Grundlage für die Annahme des SWR, bis zum Jahr 2020 müssten insgesamt 166 Millionen Euro eingespart werden gibt es nicht. Dennoch im Jahr 2012 eine erst 2016 finanziell wirksam werdende Entscheidung treffen zu wollen, ist vor diesem Hintergrund kaum zu verantworten, zumal im Falle einer Fusion der beiden Orchester eines feststehen dürfte: Die Irreversibilität der Abschaffung der beiden Orchester.“
Das kann doch einen Boudgoust nicht erschüttern: Er besinnt sich moderner Krisen-Managements-Techniken, holt sich den scheidenden, immermatten Hörfunkdirektor Bernhard Hermann links unter die Achsel, rechts den Wutbürger-verunglimpfungserprobten Verwaltungsdirektor Viktor von Oertzen. Und marschiert mit diesen Krücken als pseudotransparentes Diskussionsforum offensiv durch eine möglichst hausgemacht medial gefütterte Landschaft. Boudgoust ist ein Meister im Erflehen von Ratschlägen Dritter, die er dann von betriebsinternen Betonmischern ins Fundament seiner längst fest gegossenen Taktik pressen lässt.
Seine öffentliche Offenheit erweckt gelegentlich einen so tiefen Eindruck von showbubihafter Ratlosigkeit, Inkompetenz, dass sich die generelle Frage nach seiner Eignung fürs Amt und nach der Berechtigung seiner hohen Bezüge geradezu aufdrängt. Das Thema „Kulturauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks“ sieht Boudgoust durch programmliche Befriedigung quantitativ sich niederschlagender Quoten-Bestätigungen offensichtlich als erfüllt. Es lebe der Sport, vor allem dessen „panem et circenses“-Aspekte samt der so generierten „Drittmittel-Erträge“.
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk macht sich dank solcher Intendanten-Haltungen überflüssig und gerade durch zentralistisch funktional argumentierende Euro-Zentralisten höchst angreifbar. Das mag dem schlichten Rechner Boudgoust am Gesäß vorbeigehen. Ein haltungsreduzierter Versicherungs-Opportunist. Boudgoust ist kein Kulturmensch, der in der Lage wäre, Bewahren und Zukunft zusammenzudenken. Ein Etat-Spekulations-Additions-Taschenrechner. Deshalb verkörpert er eine öffentlich-rechtliche Kultur-Katastrophe im Dienste eines dekadenten Zeitgeistes für dessen Aufkommen er gebührenteure Verantwortung trägt. Dass man dieser Person jetzt den Vortrag von Alternativen zur Orchester-Zerstörung überlässt - aufgegeben von einem Rundfunkrat, der selbst fragwürdiges Spiegelbild einer versagenden Demokratie ist - macht schier verzweifeln.
Was die Orchester-Existenz-Bedrohung betrifft: Entscheidungen stehen vor der Tür. Wir informieren Sie unter www.nmz.de tagesaktuell. Und was unsere Startfrage betrifft: Es stinkt der Fisch vom Kopfe her? Soll niemand sagen, die südwestdeutsche Rundfunklandschaft hätte einst nicht mutige, engagierte, kulturbewusste Intendanten gehabt.