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Sail away

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Spätestens 2006 wird es in Deutschland scharf. Die TV-Gerätehersteller setzen alle ihre Hoffnungen für das nächste Jahr auf HD, High Definition. „Ha! Ho! Hee! Hochauflösendee, Fußball WM“. Doch wenn die eigens erbauten Besucherbordelle wieder schließen und sich der Deutsche wieder dem Jodeln, Weißbiertrinken und Lederhosentragen widmet, was wird dann?
Werfen wir einen vorsichtigen Blick durch das nmz-Zeitfernglas: 2010. Deutschland gibt es inzwischen nicht mehr. Durch einen kleinen bürokratischen Fehler im Zuge der Reformen von 2006 war versehentlich die deutsche Verfassung, die nur noch elektronisch vorhanden war, als Powerpoint-Präsentation für Windows 98 gespeichert worden. „Pech“, so Bill Gates, Abwärtskompatibilität sei out. So kam es denn, dass Deutschland unter den verbleibenden 3 Siegermächten des 2. Weltkriegs bis zur Fertigstellung einer neuen fehlerfreien Verfassung aufgeteilt wurde. Dies kann sich nach Prognosen noch lange hinziehen, da Word 2010 ausschließlich mit Spracheingabe arbeitet.

FDP, Grüne und Linkspartei bilden die Regierung des amerikanischen Sektors, Olaf Zimmermann (Deutscher Kulturrat) sitzt, als kulturelles Alibi in der Jury von „Deutschland sucht noch immer den Superstar“. Natürlich gibt es längst keine CDs mehr. Mit Augenimplantaten versucht man dem hochauflösenden Fernsehen gerecht zu werden.

Die Trends von 2005 haben sich weiterentwickelt; „Tokio Hotel“ – eine deutsche Teenager-Konservenrockband – waren nur die Vorreiter einer neuen Jugendbewegung, labil genug um alle Retrotrends mitzumachen. Während die Popmusik schon fleißig Walther von der Vogelweide covert, befinden sich andere Musikrichtungen noch im BaRock, oder im Elektrozissmus. 2007 gab es einen Zusammenbruch auf dem zeitgenössischen Klassikmarkt. „Die ganze Welt orientiert sich nach hinten, warum sollen wir immer die unpopulären Avantgardisten spielen!“ Das hatte zur Folge, dass alle Tonarten bis auf C-Dur und A-Moll fortan zensiert wurden. Inzwischen wird Klassik ausschließlich als Film- oder Computerspielmusik eingesetzt.

Unter dem Motto „Du biste Europa, eh!“ überquerte 2008 der italienische Ministerpräsident Berlusconi auf Elefanten die Alpen, um die Schweiz in die Pflicht zu nehmen.

Ach, fast hätte ich es vergessen: Die Semperoper in Dresden (übrigens das letzte übrig gebliebene Opernhaus im Land) wurde von Radeberger Premium Pils gekauft. Einzige Oper im Programm ist „Der fliegende Holländer“, in dem der Becks-Dreimaster die gesamte Bühne einnimmt. Die Perkussionisten im Orchester wurden allesamt durch ploppende Flensburgerflaschen ersetzt - „Sail away!“.

Zurück in 2005 sehen wir uns das Logo für die WM 2006 an: „Freude, Heiterkeit, Emotion,“ so der Leitsatz. Das ist das neue Deutschland! Selbstbewusst! Offen! Einfach lustig, diese Arbeitslosen. Welcher Krieg denn? Oh ja, der! Schlimme Sache.

„Wir sind Helden“ – schon lange nicht mehr, aber das ist den Machern solch einfältiger Werbekampagnen sowieso schni-schna-schnuppe!

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