Schule und Musikmachen, das geht unter den Bedingungen von G8 nicht mehr. Vor mir liegt der Stundenplan einer Schülerin, 11. Klasse. 34 Stunden Schule. Dazu Instrumentalunterricht in nur einem Fach und eine zweieinhalbstündige BigBand-Probe, alle zwei Wochen zusätzlich anderthalb Stunden Satzprobe. Das sind um die 40 Stunden. Hinzu kommen Auftritte mit der BigBand, Workshops über das Wochenende, Generalproben. Eben alles, was man als Musiker so machen muss, wenn man nicht nur pro forma ein Instrument erlernt, der Eltern oder Großeltern wegen. Ach ja, der Schule muss man ja auch noch dienen: Hausaufgaben, Referate koordinieren.
Kommt ein weiteres Instrument dazu, erhöht sich alles, ebenso wenn man noch einem anderen Hobby frönt, soziale Kontakte halten will. Und zu Hause muss man ja auch noch was machen, wenn man nicht bei Hotel Mama gebucht hat. In mittelprächtiger Lage kann man wohl von einer 50-Stunden-Woche ausgehen. Gut, vor über 100 Jahren war das nicht anders, nur dass das ohne Schule und Instrument vor sich ging.
Neu ist das alles nicht. Neu ist nur, wie blindlings dieser Prozess sich hat durchsetzen können. Konferenzen bestimmen die Lern- und Lehrinhalte. Der ganze Lernschrott wird dann über die Ländergrenzen irgendwie angepasst, aber dann doch so, dass es erst Recht nicht geht, von einem Bundesland ins nächste zu ziehen. Das alles leisten wir uns, das alles wird von den Politikern und Bildungsexperten täglich neu erfunden; und zwar immer schlechter. Sagte man früher, probieren gehe über studieren, so geht heute nichts mehr ohne präsentieren. Die Schule wird zur Markenanstalt und Marketingagentur in häufig gesundheits- und vor allem geistesgefährdenden Mauern und Innenausstattungen, bei den sanitären Anlagen sind wir tatsächlich wieder 100 Jahre zurück.
Ex-Finanzsenatoren schwafeln von einem „Deutschland schafft sich ab“ mit Schaum vor dem Bart und haben damit Recht, nur stärker: nicht Deutschland schafft sich ab, sondern die Menschen vor Ort, in der Schule werden abgeschafft. Zur Not hochwissenschaftlich mittels Unternehmensberatungsgesellschaften a la McKinsey oder der Boston Consulting Group oder neuen privaten Gehirnmonteuren wie der Bertelsmann Stiftung. So werden in der Schule die Schüler permanent getestet, gerade so, als ob sie alle an einer schweren Krankheit litten. „Kompetenzen sind eben messbar, Bildung nicht“, schreibt Richard Münch.
Auf eine Resozialisierung der Schüler durchs Bachelor-Studium können nur die Dümmsten hoffen, die Bundeswehr als „Schule der Nation“ hat gerade abgemustert. Wenn mich die Schülerin fragte, was sie im Lerngefecht besser aufgeben sollte, dann würde ich sagen: die Schule. Man müsste heute den Schulen geradezu Aufkleber verpassen wie sie auf Tabakpackungen stehen. „Schule fügt Ihnen und den Menschen in ihrer Umgebung erheblichen Schaden zu.“ Ob es sich sogar um eine Art Menschenrechtsverletzung handelt, wie gleichlautend Richard Münch und der ehemalige Sonderbotschafter für das Recht auf Bildung der UNO Vernor Muñoz sagen. Bei wem kann man Klage einreichen?