Thielemann muss bleiben! Schreibt Joachim Kaiser, der große Kritiker. Muss Thielemann wirklich bleiben? Hat er nicht gerade zum allerhöchsten Vergnügen der Musiker und Musikfreunde die „Wunderharfe“ alias Sächsische Staatskapelle zu einem Triumph geführt? Hat er nicht mit den Wiener Philharmonikern Beethovens „Eroica“ grandios für eine DVD eingespielt? Die besten Orchester der Welt stehen ihm offen, was will er eigentlich noch bei Münchens Philharmonikern, deren bürokratische Oberaufseher in der Stadtverwaltung ihn mit seinen Wünschen und Forderungen auflaufen ließen und kurzerhand die Gespräche über eine demnächst anstehende Vertragsverlängerung abbrachen. „Klappe! Aus!“, so heißt es bei Filmarbeiten.
Jochim Kaisers Sorge gilt aber weniger dem Dirigenten und dessen Zukunft, als der Musikstadt München. Wird deren guter Ruf durch diesen Éclat beschädigt? Dass ein renommierter Künstler im Streit mit Stadt und Leuten aus dem Ort „vertrieben“ wird, ist nicht unbedingt neu. Thielemann selbst hat ja seine diesbezüglichen Erfahrungen aus Nürnberger und Berliner Zeiten. Er ist eben ein „Schwieriger“ und anspruchsvoll dazu.
Das Hauptproblem aber liegt im Orchester selbst. Die Münchner Philharmoniker standen früher oft ein wenig im Schatten des Rundfunk-Symphonieorchesters und des Staatsorchesters in der Oper, das ja ebenfalls Konzerte spielt. Erst Sergiu Celibidache hob das philharmonische Orchester vor allem mit seinen großen Bruckner-Darstellungen auf ein höheres Podest, von dem man nicht wieder heruntersteigen möchte. Dass sich Christian Thielemann von dem Orchester locken ließ, war die Garantie für den gehobenen Podestplatz. Am besten wäre es natürlich, wenn Oberbürgermeister Christian Ude als Schlichter des Konflikts verkünden könnte: Der Nachfolger von Christian Thielemann heißt – Christian Thielemann.
Aber ein Rest von verletzender Verstimmung wird bleiben, auch wenn alles geregelt erscheint. Sind Thielemanns Forderungen, auch über die Konzerte, die er nicht selbst dirigiert, bestimmen zu wollen, unangemessen? Ein Orchester ist ein empfindlicher Gegenstand. Wenn ein Dirigent „sein“ Orchester zu einem bestimmten Klangideal führt, zu einem individuellen Musizierstil „erzieht“, dann möchte er nicht, dass ein Gastdirigent mit einer extrem anderen Klangästhetik oder Musizierart den Klang des Orchesters womöglich beschädigt oder zumindest irritiert. Diese Beurteilung kann selbst ein erfahrener Orchestermanager (Intendant) nicht für den Chefdirigenten vornehmen.
Insofern hat Thielemann Recht, wenn er auf seinen Forderungen besteht. Wenn Thielemann aber München den Rücken kehrt, bricht die philharmonische Musikwelt nicht zusammen. Es gibt derzeit kaum charismatische Persönlichkeiten, aber doch eine kleine, feine Reihe jüngerer Dirigenten, die man in Ruhe ausprobieren könnte, um sich dann für einen von ihnen zu entscheiden. Dabei denken wir nicht unbedingt an Dudamel.