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Semmelmanns Musica viva

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Weißes Licht. Weiße Hitze. Der Winter ist nicht meine Jahreszeit. Sich irgendwelche Bretter unter die Füße schnallen und waghalsig Abhänge hinunterstürzen?

In zu Diskotheken umgebauten Holzhütten grauenhafter Technomucke und noch grauenhafteren Dialekten lauschen? „Grias di, Semmel BUMM-ZIG-BUMM-ZIG-BUMM-ZIG Sauf, du Sau BUMM-ZIG-BUMM-ZIG-BUMM-ZIG Woarst schnackseln mit da Rosi, Semmel BUMM-ZIG-BUMM-ZIG-BUMM-ZIG Mit dem oiden Luder, dem elendigen BUMM-ZIG-BUMM-ZIG-BUMM-ZIG?“ Nein. Bitte nicht.

Wenn es so richtig arschkalt draußen ist, die Bäume mit einer weißen Kruste überzogen in der Kälte knistern und knacken, wenn unser Katz’ den ganzen Tag faul auf dem Bett liegt und pennt, dann gehe ich einer meiner Lieblingsbeschäftigungen nach, dem verhohnepipelnden Übersetzen englischer Liedtexte. Ein Heidenspaß für lange Winterabende. Damit habe ich schon manchem Fan das Objekt seiner Begierde gnadenlos entzaubert. Denn viele Leute glauben ja immer noch, dass insbesondere anerkannte und somit undiskutierte Heroen der (Rock-) Musik stets hochgeistige Werke vertonter Poesie verfassen. Und je weiter diese Werke in der Vergangenheit liegen, umso sagenumwobener werden die Interpretationen solcher Textzeilen. Das geht sogar bis zu völlig abstrusen Verschwörungstheorien.

Was die Übersetzung ins Deutsche angeht, bin ich Anhänger der 1:1-Direktübersetzungslehre. Was ist zum Beispiel von einem Lied zu halten, das den Titel trägt „Glückseligkeit ist ein warmes Gewehr?“ Oder: „Am Hofe des karmesinroten Königs beinhaltend Die Feuerhexe und Der Tanz der Puppen?“

Folgendes Kleinod eines kleinen Musikers und Sängers gefällt mir besonders:

„Ein zerbrochner Gott einer rostigen Welt/Süßlich ein Onyx-Mädchen mundberührt/Seine Gefängnisgitterstäbe waren hart zu putzen/Was passierte mit dem Teenagertraum?“

Was ist hier die Botschaft, sofern es überhaupt eine gibt? Vielleicht gibt sie die nächste Strophe:

„Der Zauberer von Oz und der bronzene Dieb/Regelten mein Mädchen mit teutonischem Zahn/Aber alles war verloren, als ihr Mund grün wurde/Was passierte mit dem Teenagertraum?“

Dass der Verfasser der Einnahme von Halluzinogenen nicht abgeneigt war, scheint die Botschaft. Kein echter 68er, der dies hier nicht kennt:

„Wenn der Weiße Ritter rückwärts spricht/Und die Rote Königin ihren Kopf verliert./Erinnere dich, was die Türmaus sagte: Ernähre deinen Kopf, Ernähre deinen Kopf!“

„Now you’ve seen the heavy groups, now you will see Morning Maniac Music.“
Semmel fragt: Wer war’s?

Zauberer, Diebe, Königinnen, Ritter. Nachdem sich die Sandoz-Schiene – der Mann wurde dieser Tage 100 Jahre alt, und zwar an lebendigem Leibe – als fataler Irrtum rausgestellt hatte, kehrte man auf den Boden der Tatsachen zurück:

„Zu viel für mein’ Körper, zu viel für mein Hirn/Die verdammten Weiber machen mich bekloppt.“
Na, das ist doch mal eine Aussage, mit der Mann was anfangen kann. Keine LSD-Botschaften. Keine Verschwörungen. Keine Hektik. Keine Meetings. Keine Handys.

Ääh? Entschuldigung. Bevor mir die Sache völlig entgleitet, noch einer:

„Grüß Gott, Josef. Wohin des Wegs mit der Flinte in der Hand?/Ich geh’ runter ins Tal um meine Frau zu erschießen,/Weil ich sie mit ’nem anderen Typen rummachen sah.“

Legendär.

Und so komme ich dann halt geradeso über den Winter.

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