Letztes Wochenende lag ich mal wieder im Wohnzimmer vor dem Plattenregal und habe meine Langspielplatten durchgeguckt. So eine Sammlung, völlig egal wie umfangreich sie auch ist, vermittelt dem Durchgucker nicht nur einen Einblick in das Leben des jeweiligen Sammlers, sondern irgendwie auch ein Gefühl des Stillstands. Denn der zeitliche Kontext einer Plattensammlung ist endlich. Zumindest der von meiner, denn ich gehöre nicht zu den Vinylfetischisten, die nach dem Aufkommen der CD weiterhin Vinyl kauften, nur um Vinyl zu haben und als edler Liebhaber und Bewahrer des wahren Musikgenusses zu gelten.
Guckt man solch eine Sammlung durch, dann fühlt man sich wie in einer Zeitblase gefangen. Meine Blase beginnt irgendwo in den frühen 60er- Jahren. Genaugenommen mit der ersten LP der Rolling Stones. Wobei das ein wesentlich späterer Zukauf in den frühen 70er-Jahren war. Meine „Erste“ war die „Get Yer Ya-Ya’s out!“. Zu der Zeit besaß ich den Ehrgeiz, nach und nach sämtliche LPs dieser Musikgruppe zu kaufen. Ich war Fan damals. Was sollte ich machen? Ich war jung, ich war verrückt, ich war verliebt. Nach dem Besuch eines Konzertes im Jahre 1976 in der Dortmunder Westfalenhalle, in dessen Verlauf dieser Mick Jagger auf einem Riesenplastikpimmel he-rumritt, kamen mir dann doch erhebliche Zweifel an meinem pubertären Fankult und ich beendete diesen Abschnitt meiner passiven Musiklaufbahn flüchtenden Fußes. Zumindest als zahlender Konsument dieser Band.
Diejenigen, die mir Anfangs der 70er rosarot als Revoluzzer gedient hatten, waren inzwischen fast alle tot oder verloren sich in stundenlangen, dekadenten und bedeutungslosen Instrumentalsoli. Folgerichtig klafft an dieser Stelle in meiner Sammlung eine Lücke. Aus den „straßenkämpfenden Männern“ waren bekanntlich satte Millionäre geworden, die irgendwann im „Motel der Erinnerungen“ saßen und sich gegenseitig erzählten, was für tolle Hechte sie doch gewesen sind.
Die Lücke schließt sich erst wieder Ende der 70er-Jahre mit Clashs „London Calling“, mit den „Bollocks“ der Sex Pistols und mit The Jams „In the City“. Die Zeitangaben über die Veröffentlichung meiner Platten enden irgendwo Anfang der 80er. Die Compactdisc hielt Einzug und wurde uns als der perfekte Tonträger angepriesen.
Mal Hand aufs Herz, werter Leser: Sind Sie jemals mit dem lausigen Booklet einer CD auf dem Sofa, dem Wohnzimmerboden, dem Bett, in der Hängematte, mit dem Kopf auf dem Schoße ihres Partners oder weiß ich wo gelegen und haben es intensiv studiert? Mit der Juwelierlupe, oder was? Was gab es damals doch für fantastische LP-Cover, die regelrecht danach kreischten, stundenlang betrachtet und voller Inbrunst täglich neu interpretiert zu werden, abhängig davon, welche psychoaktiven Substanzen gerade die Oberhand im Oberstübchen hatten. Schon mal versucht, die Liner Notes von Zappas „Freak Out!“ in der CD-Version zu entfernen? Sich mehrfach dabei erwischt, die CD-Version der „Led Zeppelin III“ untersucht und doch keine Drehscheibe gefunden zu haben? Oder vergeblich versucht, die Leute auf der „Sgt. Pepper‘s“ zu erkennen?
Apropos Beatles. Der ganze Stolz meiner Plattensammlung ist die Tatsache, dass sich trotz intensiver Suche nicht eine einzige LP der Pilzköpfe findet. Ganz so verrückt war ich dann doch nicht.