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Sind Tweetups die Rettung?

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Nachschlag 2014/10
Publikationsdatum
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Den ganzen Tag ist man von Menschen umgeben, die in leicht gebückter Haltung auf ihr Smartphone starren. Will man diesen Trend nun auch im Theater sehen? Mit sogenannten „Tweetups“ versuchen Kultureinrichtungen, das Web 2.0 für sich zu nutzen. Dabei werden in Deutschland seit 2011 Interessierte mit Twitteraccount und mehr oder weniger Fachkompetenz in eine Aufführung oder eine Probe eingeladen. Manchmal mit Schnittchen und Apfelsaft. Andernorts mit einem Rundgang durch das Rudiment vergangener Glanzzeiten. Das Theater erhofft sich dadurch eine engere Bindung zum Besucher, neue Gäste, mehr Gäste, jüngere Gäste; aber auch eine virale Verbreitung ihrer Ins­titution.

Die Teilnehmer solcher Tweetups haben meist den Ansporn, neue „Follower“ zu bekommen und ihre literarischen Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. Viele wollen auch die Macher hinter der Kunst kennenlernen oder einfach mal schauen, wo die Steuergelder so investiert werden.

So zieht neben den Künstlern, die sich bewähren wollen, ein weiterer Wettbewerbsgedanke in die Kultureinrichtungen ein: der Wettkampf um die meisten „Retweets, Fav‘s oder Likes“.

Nun, dies ist an sich kein Novum, da professionelle Kritiker untereinander auch einen gewissen Wettkampf um Aufmerksamkeit und Deutungshoheit führen. Das Neue daran ist, dass dieser Druck den normalen Zuhörer erreicht.

Der moderne Zuhörer lauscht nicht mehr nur der Musik, versucht Strukturen zu erkennen und lässt sich von der Musik mitreißen. Nein, der Hörer 2.0 bereitet ständig in Gedanken den nächsten Tweet vor, während er zwischendurch die Darbietung wahrnimmt. Während meines Selbstversuches beim Theater Koblenz, welches am 10. September 2014 sein zweites Tweetup abhielt, zwang mich das Multitasking in die Knie. Schauen, schreiben, schauen, schreiben. Aufgrund der kleinen Tas­tatur meines Smartphones habe ich mich häufig vertippt und musste meinen Tweet korrigieren, was natürlich wieder Zeit kostete, die ich besser in die Betrachtung des Balletts „Der Besuch der alten Dame“ investiert hätte. Dieser Teufelskreis aus: „Schauen, schreiben, korrigieren, schauen“ ist wohl das prägendste Merkmal eines Tweetups. In Museen ist die Sache wieder eine ganz andere, da man während des Schreibens nichts verpasst. Eine Ins­tallation oder ein Gemälde verzeiht es, wenn man mal kurz wegschaut.

Nicht so das Ballett, das Theater und die Oper. Sie sind Zeitkünste, und da man zur gleichen Zeit nicht zwei Objekte auf einmal anschauen kann, bleibt es wohl leider bei der Prämisse: ruhig sein und Stillsitzen.
Ist denn alles schlecht bei einem Tweetup? – Nein, die absolute Konzentration auf die Musik ist eine Erscheinung, die erst im 19. Jahrhundert ihren Anfang nahm. Vorher war es in Konzerten ganz normal, dass gespeist, getrunken und auch mal gesprochen wurde. Tweetups sind also von ihrer Intention her eine uralte Sache, die mithilfe moderner Technologie einen neuen Phänotyp hervorbrachte. Jeder durchlebt während einer Aufführung einen Moment, in dem er mit den Gedanken abdriftet (Was?? #Kunstverrat #Aufschrei!).

In diesen Momenten mal auf’s Handy schauen und im Idealfall einen eloquenten Kommentar zu lesen, ist eine fantastische Sache: Es kann den Blick auf die Interpretation verändern und zu neuen Denkanstößen anreizen. Lenkt aber auch ab.

Die Storyline im Anschluss an eine Vorstellung bringt die unsortierten Beiträge der Twitterer in eine Ordnung und resümiert den Abend aus kaleidoskop­artigen Blickwinkeln hin zu einem gemeinsamen Erlebnis.

Diese Partizipation ist das wohl schönste Produkt der sozialen Netzwerke. Doch kann diese Partizipation auch das Konzertleben verändern. Aber wie bereits erwähnt, ist dies keine neue Erkenntnis. Vielleicht befinden wir uns in einer geschichtlichen Epoche, in der die Konzentration auf die Kunst zugunsten einer Teilnahme an der Kunst abnimmt. Spannende Zeiten für die Kultur!

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