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Sind wir nicht alle ein bisschen „putpat“?

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Wie sagt eine Volksweisheit so schön: „Bescheidenheit ist eine Zier, doch weiter kommt man ohne ihr.“ Leider ging vielen Deutschen jenes Bescheidenheits- Gen völlig verloren. Nehmen wir die örtliche Musikbranche. Die hat sich in den letzten Jahren zu einer musikalischen CSU gemausert. Von oben herab wurde dem Konsumenten diktiert, wie und was er zu hören hat. Konsequent wie desaströs wurden Kampagnen (copy kills music), die den Musikfan als digitalen Massenmörder verurteilten oder zum anständigen deutschen Download verdammten, gegen die Wand gefahren. Trotz erkennbarer Probleme hielt man eisern am prahlerischen Image vergangener Zeiten fest. Beispiel gefällig? Die Popkomm 2008. Statt die Krise zu akzeptieren, wird unplausibel auf dicke Hose gemacht. Zwar ging die Zahl um 1.000 Fachbesucher auf 14.000 zurück – das aber wurde kompensiert, denn die geschrumpften Fachbesucher blieben dafür länger in den Messehallen. Zusammenhang? Unergründlich. Bescheidenheit? Fehlanzeige. Auch die Ausstellerzahl ging um 43 auf 843 zurück. Für die Popkomm grundlos erfreulich, schließlich werde die Messe im Gegenzug immer internationaler. Aha.

Ferner gab es belanglose, doch mit Posaunen proklamierte Pressekonferenzen auf der Popkomm, die Visionen ankündigten. Tobias Trosse von „Televised Revolution“, begleitet von MTV-Legende Ray Cokes und Onkel Gorny (Vorsitzender des Bundesverbands der Musikindustrie), verkündete mit grellem Gepolter das „Musikfernsehen der Zukunft“.

Getauft auf den Namen „putpat“. Was „putpat“ genau ist, konnte keiner der drei sagen. Dass es was ist, wollten sie nicht ausschließen. Aber mit der Bedeutung der Plattform „YouTube“ könne man sich entschieden messen. Verstehen Sie das? Kann etwas, das es nicht gibt, mit Existentem verglichen werden? Zumal die Zukunft des Musikfernsehens in der Gegenwart als „Beta Version“ schön bescheiden daher kommt und nur eine klägliche online-Registrierung verramscht.

Leidet die deutsche Phonobranche an einem Minderwertigkeitskomplex? Ja. Weil man als Deutscher im Allgemeinen stets hinterher hinkt. Sogar in der Finanzkrise waren die USA schneller. Doch selbst den Amis geht die Genügsamkeit verloren. So verklagte der Musiker Bart Steele die US-Band Bon Jovi auf die für uns mittlerweile doch überschaubare Summe von 400 Milliarden Dollar. Die Band soll seinen Song „I really love this team“ zu eifrig erörtert haben. Aber blöd sind die Amis nicht. Während Deutschland 480 Milliarden aus eigener Tasche blecht, holen die sich das Geld von Bon Jovi. Von den 700 Milliarden Dollar des Rettungsfonds bleiben somit 300 übrig, die Georgie entspannt aus der Kriegskasse abziehen kann.

Und ich quäle mich weiter mit großmäuligen Informationsbroschüren von Bands, die just ihre erste Tournee durch die Jugendzentren des Landkreises abgebrochen haben, aber mit US-Produzenten arbeiten möchten. Liebe Musikkreative, einfach mal weiter unten ansetzen, würde uns allen nicht schaden.

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