Wie oft wurde schon geklagt über die unleserlichen Programmhefttexte, in denen die Komponisten ihre eigenen Werke erläutern. Zugegeben, es macht auch keinen Spaß, etwas mit Worten nochmals zu „erklären“, was man vorher schon mit Tönen gesagt hat. Da ist die Versuchung groß, entweder eine detaillierte Erläuterung der genialen Raum- und Materialdisposition abzuliefern oder zum weltanschaulichen Rundumschlag auszuholen.
Um dem berechtigten Unmut des geneigten Publikums über solche verbalen Exstasen in Zukunft etwas entgegensetzen zu können, soll im Folgenden das Modell eines Programmhefttexts entworfen werden, der allen Situationen standhalten kann. Es ist sozusagen der ultimative Eigenkommentar – polyvalent, nach allen Seiten offen und hoffentlich dazu beschaffen, alle Informationsbedürfnisse zu befriedigen. Und los geht’s:
„Die grundlegende Reflexion, die das gesamte Werk prägt, besteht im Wiedererschaffen einer Harmonie, die sowohl von den empirischen als auch von den abstrakten Prinzipien weit entfernt ist. Verdoppelung ist hier Thema, Wiederholung in der annähernden Gleichzeitigkeit. Was nur neu ist, vermittelt eben genau so wenig Information wie das, was nur bekannt ist.
Das Basismaterial besteht aus einer Folge von Akkorden, die ich einem Satz eines Klavierzyklus entliehen habe. Der Begriff ‚Phase’ verweist auf die physikalische Beschreibung von Wellenformen und deren Amplitude. Als Analogie dazu verwendete ich in diesem Stück eine begrenzte Anzahl von Klängen, die in unterschiedlichen Abständen erklingen. Vergleichbar mit tonalen Funktionsstufen entsteht allein durch die Klangabfolge ein kognitives Phänomen, das für mich über dieses Stück hinaus zu einem zentralen Thema wurde.
Räumlich sind die Klänge als Arena abgebildet: Die Protagonisten stehen im Zentrum, umgeben vom Orchester-Chor als mehrkanaligem Split-Klang, der das Hören in den virtuellen Mittelpunkt des Orchesterklangs verschieben will. Überwiegend spielen die beiden Orchester kontrastierendes Material, während sie zusammen mit der Elektronik, aber diagonal durch das Auditorium spielen. Die so definierten räumlichen Konfigurationen bestimmen die Art des Materials, das verwendet werden kann; es gibt eine direkte Verbindung zwischen der Struktur der Komposition und der Platzierung der Interpreten im Raum. Zugleich aber simuliert die Verräumlichung im Grunde genommen Flugbahnen von verschiedenen und komplexen akustischen Reflexionen.
Heute höre und komponiere ich anders. Ich bin selbst ein Suchender, wenn ich Musik schreibe, und versuche das Regelwerk in mir zu erkennen, nicht um es zu befolgen, sondern um es zu überwinden. Signalhaftes Material in der Musik sowie kontextuell geprägte Lautereignisse ermöglichen semantisch deutbare Syntagmen. Mein Skelett des Nebels ist der übermäßige Dreiklang, ein neutraler, umdeutbarer Klang, der das Stück durchweht. Ja, das Schöne ist nicht totzukriegen.“
Die Sätze dieses virtuellen Eigenkommentars sind dem Programmheft der Donaueschinger Musiktage 2005 entnommen und in sinnstiftender Weise zu einem Ganzen gefügt. Credits (in alphabetischer Reihenfolge): Dai Fujikura, Clemens Gadenstätter, Juliane Klein, Bernhard Lang, Valerio Sannicandro, Marco Stroppa, Wolfgang Suppan, Caspar Johannes Walter.
Ach ja, das Motto fehlt noch: „Das Geschwätz nimmt seinen Lauf.“ (Salvatore Sciarrino, am angeführten Ort)