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Sonntags reden – montags handeln?

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Diskussion zur Arbeit der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland” auf der Frankfurter Musikmesse
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Hans-Herwig Geyer (GEMA-Kommunikationsdirektor): Die Enquete-Kommission tagt fast wie ein Konklave und separat von denjenigen, die draußen Kultur machen. Es gibt keinen direkten Kontakt, und ich habe auch nicht den Eindruck, dass die Musik eine zentrale Rolle spielt. Es ist eine Mär zu sagen, dass das Musikleben und die Musikwirtschaft so kompliziert sind. Die Themen und Konflikte sind nicht versteckt, sondern öffentlich. Öffentlich ist zum Beispiel, dass von heute auf morgen die Phonografische Wirtschaft den angemessenen Anteil der Autoren an ihren Werken um 50 Prozent reduzieren wollte. Wir warten seit einem Jahr darauf, darüber in der Enquete-Diskussion etwas zu hören. Da geht es nämlich wirklich um Existenzsicherungen, da geht es um die Grundlage, nämlich um das Kapital kreativer Menschen. Ein weiteres Thema: Die EU schickt sich an, die Verwertungsgesellschaften in einen falsch verstandenen Wettbewerb hineinzuhetzen, indem sie das Territorialitätsprinzip in Frage stellt, was letztlich dazu führen wird, dass die Tarife der Verwertungsgesellschaften nach unten gehen werden. Auch das ist ein öffentliches Thema, das uns sehr stark bewegt und von dem wir nichts hören. Wir hören weiter nichts zum Thema der Ausrichtung der europäischen Förderprogramme. Die EU verabschiedet im Moment Nachfolgeprogramme von „Kultur 2000”, die ab 2007 greifen werden und bis ins nächste Jahrzehnt Rahmenbedingungen schaffen dafür, wie wir in Europa die „cultural diversity” auch finanziell und ideell begleiten wollen. Das sind Themen, die zentral im Vordergrund stehen. Wir haben den Eindruck, dass die Enquete-Kommission sich hier sehr bescheidet und nicht angemessen reagiert.

Kulturfinanzierung

Hans-Joachim Otto (FDP, Mitglied der Kulturenquete): Es geht auch um das System der bürgerlichen Zivilgesellschaft. Wir sind uns über Parteigrenzen hinweg einig, dass wir in Deutschland mehr private Verantwortung und Mitwirkung brauchen. Wir haben ei-u
u ne Staatsquote von fast 50 Prozent. Da werden wir die Probleme der Kultur nicht durch einen noch höheren Staatsanteil dauerhaft regeln können. Deswegen fragen wir uns: Wie können wir diese private Mitwirkung stärken, die ja nicht nur in finanziellen Leistungen, sondern auch in zeitlichem Engagement liegt, in Verantwortungsgefühl?

Christian Höppner (Generalsekretär des Deutschen Musikrates e.V.): Der Staat muss sich nicht nur bekennen, der Staat muss auch finanzieren. Das ist immer auch eine Frage der Prioritäten. Ich erwarte von der Enquete, dass sie sagt: Wir geben uns nicht mit dem Status Quo zufrieden, sondern wir müssen mehr Ressourcen fordern. Was wir im Moment in Deutschland tun, gleicht einem Verbrechen, denn die Potenziale lassen wir brach liegen. Gerade in der Frühförderung von Kindern und Jugendlichen bauen wir Barrieren auf, indem Zugänge mehr und mehr zugeschüttet werden. Das fängt in der Musikschule an, und das hört in der Schule und für ältere Menschen nicht auf. Unsere Erwartung an die Enquete ist, hier nicht nur für ein Bewusstsein zu sorgen und für eine öffentliche Diskussion, sondern auch für konkrete Vorschläge. Ich warne davor, dass wir uns damit abfinden, weniger Ressourcen einzusetzen für Bildung und Kultur und uns auf mehr privates Engagement verlassen.

Ziel der Enquete-Kommission ist es, die Kultur zu fördern, aber wer glaubt, dass das staatliche Fördervolumen in den nächsten zehn Jahren wesentlich angehoben werden kann, der verspricht den Menschen zu viel. Wir müssen die Mittel besser einsetzen. Es wäre nicht ehrlich, wenn wir die dramatische Situation der öffentlichen Haushalte nicht in unsere Überlegungen einbeziehen würden.

„Ohne Kreativität nix los: Am Anfang steht der Einfall“

Karl Karst (Programmchef WDR3): Es ist in der derzeitigen Staatssituation von hoher Dringlichkeit darauf zu achten, dass Räume für die Präsentation von Kreativität und künstlerischer Arbeit weiterhin erhalten bleiben und nicht den insgesamt drängenden Sparzwängen zum Opfer fallen. Ich denke dabei an die Bühnen, an die Musikschulen und Musikhochschulen, aber auch an die Sendeflächen in den Rundfunkprogrammen der ARD, die nur durch Gebühren ermöglicht werden. Wir haben darüber hinaus die Verpflichtung, dafür Sorge zu tragen, dass professioneller Raum bleibt für die Umsetzung kreativer neuer Ideen. WDR3 hat eine eigene Sendestrecke eingeführt: Sie heißt programmatisch „WDR3 open”. Jeden Tag von 23.00 bis 24.00 Uhr finden dort avancierte Formen von Musik und Wort ihren Ausdruck. Freiräume dieser Art sind lebensnotwendig. Sie sind ein Signal in die Gesellschaft: „Macht was, tut was, entwickelt neue Ideen!” Gerade das Neue brauchen wir, um uns weiter zu entwickeln. Und wir brauchen es als Programmmacher, um die Beteiligung der nächsten Generationen der Kulturinteressierten am Prozess der Kulturvermittlung zu gewährleisten. Der WDR ist mit seinen Programmen für diese Belange gut aufgestellt. Beim Westdeutschen Rundfunk ist auch keine Infragestellung der Orchester gegeben. In anderen, namentlich den kleineren Bundesländern sieht die Situation ganz anders aus.

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