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Spielbälle im politischen Tagesgeschäft

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Weitere Leserbriefe zur JeKi-Diskussion, beginnend mit der nmz 11/09
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Der Artikel „Die Unzufriedenheit zieht weite Kreise“ in der nmz 11-09 spricht mir aus dem Herzen. Es ist höchst außergewöhnlich, dass sich Musikschullehrer gemeinsam für eine Sache engagieren. Normalerweise hört man die Sätze: Ich mach mich doch nicht unbeliebt, es nutzt doch nichts, ich hab keine Zeit, et cetera. Ist es angesichts einer solchen Stimmung verwunderlich dass Musikschullehrer als Hilfsarbeiter, Lehrer zweiter Klasse für JeKi benutzt werden, da sie sich ja nicht wehren. Sie spielen im JeKi eher die Rolle des Dompteurs, weil sie keinerlei Rechte oder Druckmittel an der Hand haben, um die Horde von Kindern zu bändigen.

Wir wissen sicher aus unserer Schulzeit, dass Schule nur mit Druckmitteln wie Noten, Strafarbeit, et cetera funktioniert, alles Mittel, die uns als JeKi-Lehrer nicht zur Verfügung stehen, und wenn wir ehrlich sind, dann wollen wir diese Mittel auch gar nicht, denn ein Instrument zu lernen, braucht andere Rahmenbedingungen. Seitdem ich Jeki unterrichte, genieße ich die Stunden mit meinen Schülern an der Musikschule, wo die Kinder freiwillig und zu einer Zeit kommen, die sie sich ausgesucht haben, und dass diese Kinder auch alle noch freiwillig üben, finde ich jetzt nicht mehr selbstverständlich. Meine sechs JeKi-Kinder sind nach vier Monaten auf einem Spielstand, wie Schüler der Musikschule nach ein bis zwei Stunden.

Ein Fortschreiten im Unterricht ist nicht möglich, da jede Stunde jemand fehlt und nicht etwa, weil das Kind krank ist, sondern weil die Kinder nach Hause gehen oder ihr Instrument vergessen. Wie sollte man denn auch in der sechsten Stunde noch Muße haben, ein Instrument zu lernen? Die Kinder, die vielleicht am Anfang noch interessiert waren, sind völlig unterfordert und verlieren nach einem Jahr in einer Gruppe mit Störenfrieden schnell die Lust, sodass sich nur wenige Kinder anmelden werden. Die Schule ist ein Ort, der für die meisten Schüler negativ belastet ist und meiner Ansicht nach kein Ort, um ein Instrument zu lernen, das ja zu einer Herzensangelegenheit werden soll. Kinder in der Grundschule haben noch Zeit für außerschulische Aktivitäten, sie sind noch begeisterungsfähig und lernwillig. Sicher ist dies die wichtigste Zeit, um die Grundlagen für das Instrumentalspiel zu legen.

Und diese Zeit sollen die Kinder nun in Großgruppen verbringen, während die Lehrer an der Musikschule arbeitslos werden, weil Grundschüler sich an der Musikschule nicht mehr anmelden. Was wird das für Auswirkungen auf unser Musikleben haben? Wie sollen Kinder zu guten Musikern werden, wenn sie nicht früh beginnen, sondern die wichtigste Zeit in Großgruppen verbringen, die als Ziel nicht die Vermittlung von musikalischen Fähigkeiten haben, sondern außermusikalische Ziele (z.B. Förderung der Intelligenz), damit sie im Turbotempo durch G8, Bachelor und Master kommen und noch schneller dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Aber kann man überhaupt in zwei Jahren JeKi einen Einfluss ausüben? Musik als Zaubermittel? Meiner Meinung nach hat nur früh beginnender und langfristiger Instrumentalunterricht einen nachhaltigen Einfluss auf die Entwicklung der Persönlichkeit. (…)

Mechthild Halter, Aschaffenburg

Mutiges Vorbild

Einmal mehr möchte ich dem/der Leserbriefschreiber/-in für die mutigen Worte danken! Es ist überfällig, dass wir Musikschullehrkräfte uns nach diesem Vorbild mutig für unsere Interessen einsetzen. Aber dazu brauchen wir Hilfe! Denn das ist doch die Quintessenz der getroffenen Aussagen: Wo ist unsere Lobby? Wer steht für die Musikschulen und deren Personal bundesweit ein? Wir sind trotz aller Sonntagsreden der Politiker aller Parteien im bundesdeutschen Bildungssystem eine geduldete Randerscheinung, die froh sein darf, wenn sie noch nach den gewohnten Bedingungen ihrem Auftrag nachgehen kann. (…)

Und gerade weil das so ist, möchte ich dazu aufrufen, dass sich ALLE Musikschulen – die starken mit den schwachen, die großen mit den kleinen, die im Norden und die im Süden  – mehr solidarisieren. Wir müssen auf das, was wir leisten, viel öffentlichkeitswirksamer hinweisen. Wir müssen unsere Interessen und Ansprüche an die Politik viel konzentrierter und deutlicher formulieren. Solange jede Musikschule, ja jede Lehrkraft, für sich alleine kämpfen muss, bleiben wir ein Spielball im politischen Tagesgeschäft, für den sich niemand richtig einsetzen wird. Wir bleiben ersetzbar, verzichtbar, austauschbar. Wir verlieren immer mehr unsere Identität. Unsere Aufgabenschwerpunkte verschieben sich, wir sind dabei, uns für alle möglichen und vielfach kontrovers diskutierten Spielarten der musikalischen „Ausbildung“ missbrauchen zu lassen, immer vor dem Hintergrund, dass wir in unserem eigentlichen Bildungsauftrag – nämlich dem Instrumentalunterricht – schlichtweg zu teuer sind. (…)

Dabei hat Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) in einer Diskussionsrunde über das Berliner Musikschulsystem selbst gefordert, dass die Musikschulen mehr Lobbyarbeit brauchen, „Lärm machen müssen“, und forderte eine den Lehrkräften am Gymnasium entsprechende Vergütung. Alle Parteien sind sich einig, dass viel Geld in das deutsche Bildungssystem gepumpt werden muss. Leider spricht hier niemand von den Musikschulen. Hier müsste man Thierse auf seine Aussagen festnageln, ihn und andere Politiker als Speerspitze für eine Lobbyarbeit gewinnen. Vorraussetzung dafür ist, dass wir uns als Musikschulen einig sind, was wir eigentlich wollen. Das könnte sein: Neben einem einheitlichen Tarifvertrag für alle Musikschullehrkräfte (der bestehende wird ja mittlerweile an immer mehr Schulen ausgehöhlt) muss auch die pädagogische Arbeit und die Finanzausstattung der Musikschulen bundesweit vergleichbar werden.

Gebühren müssen ähnlich sein. Die Lehrkräfte an einer Musikschule müssen ein ausgewogenes Beschäftigungsprofil haben, das ein vertretbarer Mix aus Gruppen-, Ensemble- UND teurem Einzelunterricht ist, und dafür angemessen bezahlt werden. Wenn eine öffentliche Schule Klassenmusizieren anbieten will, MUSS sie auf das Angebot und die Kompetenz der Musikschule vor Ort zurückgreifen und auch einen bestimmten Satz dafür bezahlen. Es ist längst überfällig: Wir brauchen ein Musikschulgesetz, wir dürfen nicht länger vom „Goodwill“ der Gemeinden und Kommunen abhängig sein. Kritiker werden sagen: Das alles wird viel, viel Geld kosten. Und daher undurchführbar sein in heutiger Zeit. Mag sein, aber wir sollten selbstbewusst genug sein, um zu fordern! Wir sind ein unersetzlicher Teil des Bildungssystems und daher auch viel Geld wert! Es gibt Vertreter für unsere Anliegen! Also, VdM, Verdi & Co.: Vertretet unsere Interessen mit Nachdruck! Eine Stellungnahme von diesen Institutionen zu den vielen Leserbriefen wäre wünschenswert.

Lenard Ellwanger, Wangen

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