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Spin Doctors

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Zeit ist Geld, heißt der alte Spruch, und seine Wahrheit beruht auf einer stillschweigenden Voraussetzung: Zeit ist eine knappe Ressource. Wer sie für etwas investiert, muss dafür gute Gründe haben. Entweder ist er gezwungen, sie in Arbeit zu stecken, um das Leben zu reproduzieren. Oder er macht es freiwillig, das heißt, er investiert seine „Freizeit“ in Form von Aufmerksamkeit in das Objekt seiner Begierde oder in das, was er dafür hält. Und weil freie Zeit und Aufmerksamkeit ein knappes Gut sind, wird um sie ein Dauerkrieg geführt – von denen, die uns etwas verkaufen wollen und unsere Aufmerksamkeit dafür beanspruchen. Das ist der Ursprung der Werbung und die Ursache für all den Wort- und Bilderschrott, der täglich von den Werbeflächen im öffentlichen Raum und aus den Medien auf uns einprasselt.

Heute sind ganze Wirtschaftszweige nur damit beschäftigt, uns im Auftrag anderer etwas einzureden, und neue Wissenschaftsdisziplinen sind entstanden, die die Methoden der Beeinflussung ständig weiter perfektionieren. Eine Armee von Spin Doctors, PR-Managern, Imagepflegern, Kommunikationsberatern, Kampagnenleitern und Pressesprechern überzieht den öffentlichen und privaten Raum mit einem Mehltau von Floskeln, die ebenso smart wie inhaltsleer sind und nur eines bezwecken: uns die Marke eines Produktes einzuhämmern. Die Marke kann EON, CNN, Bush, Der Kaiser, Revolution in Orange oder sonst wie heißen, die Methoden und Ziele sind stets dieselben.

„Die Wahrheit ist nur insofern wertvoll, als sie wirksam ist.“ Das ist bis heute der Grundsatz jedes Spin Doctors. Der pragmatische Aspekt der Sprache wird verabsolutiert im Hinblick auf die angestrebte Wirkung. Der Satz stammt aus dem 1926 erschienenen Buch „Die Kunst der Massenbeeinflussung in den Vereinigten Staaten von Amerika“ von Friedrich Schönemann, der später unter den Nazis eine Universitätskarriere in Berlin machte. In seiner Serie „Der Zweite Weltkrieg“ schreibt der „Spiegel“, dass Goebbels dieses Buch als direkte Anleitung für seine Propagandaschlachten nehmen konnte. Was in den USA schon damals als Reklametechniken für den Warenkonsum gang und gäbe war, wurde von ihm „umfunktioniert“ zur politischen Waffe mit dem Zweck, den Gegner zu vernichten. Statt Kaufanreizen schürte er Hass, statt der Marke Coca Cola verkaufte er die Marke Hitler. Es funktionierte prächtig, wie man weiß.

In einer korrumpierten, auf Überredungsstrategien reduzierten Sprache wird Wahrheit rein instrumental aufgefasst, und Schönemanns Lehrsatz lässt sich dann auch so lesen: „Nur was wirksam ist, ist wahr.“ Wahrheit als Funktion des Erfolgs. Wenn Millionen dem Führer zujubeln, kann er doch nicht irren. Wenn Millionen die neue Show einschalten, muss der Sender damit doch richtig liegen. Neulich wurde dieser pervertierte Wahrheitsbegriff auch auf den zynischen Nenner gebracht: Leute, produziert Scheiße, Millionen Fliegen können nicht irren!

Die pragmatische Loslösung der Sprache von ethischen Normen hat eine Vorgeschichte. Schon vor über 120 Jahren zündelte Nietzsche im stillen Kämmerlein mit seinen frivolen Gedankenspielen von Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinn. Einige Jahrzehnte später machten große Demagogen wie Lenin und Goebbels aus den Spielen Ernst. Eine moralfreie Sprache diente ihnen dazu, die Massen aufzuputschen und ihnen Feindbilder einzubläuen.
In unserer aufgeklärten Gesellschaft verfängt solche Frontalagitation nicht mehr. Die Methoden der Beeinflussung haben sich verfeinert. Politik verkauft sich nicht mehr durch das Schüren von Aggressionen, sondern durch den Appell an Wellness- und Sicherheitsbedürfnisse. Wohlfühlen setzt Sicherheit voraus, und deshalb toleriere ich auch gerne all die Schweinereien, die angeblich im Interesse meiner Sicherheit von militärischen und ökonomischen Special Forces verübt werden. So lange es nicht vor meiner Haustür passiert.

Auf dem sich selbst regulierenden Wahrheits- und Meinungsmarkt sollten die Aussagen möglichst biegsam formuliert werden, damit kein potentieller Kunde verärgert wird. Vorbilder sind die aalglatten Nullinformationen der Wirtschaftsbosse. Sie sind die echten Dialektiker unter den medialen Sätzeproduzenten und verdrehen noch jeden Pfusch in Imagegewinn, jede Betriebsschließung in eine arbeitsplatzerhaltende Maßnahme. Da wirkt ein Außenminister, der trotzig erklärt, er wolle „die Verantwortung für die Fehler übernehmen“, schon beinahe wieder ehrlich. Doch so lange er nicht entsprechend handelt, ist auch das nur ein brillanter Spin.

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