Das öffentliche Konzertleben ist, nachdem es für eine gewisse Zeit vollständig zum Erliegen gekommen war, nur sehr langsam wieder auf dem Weg zurück in eine Normalität, von der niemand sagen kann, wann und ob sie wieder so sein wird wie vor Corona. Auch im Bereich der zeitgenössischen Musik sind zahlreiche Musiker*innen und Komponist*innen von den Folgen eines Shutdowns betroffen, der ihnen von jetzt auf gleich die Hauptgrundlage ihrer Erwerbstätigkeit genommen hat.
Aus dieser Situation heraus hat sich die Gesellschaft für Neue Musik (GNM) mit einem offenen Brief an die Chefetagen der öffentlich-rechtlichen Rundfunksender gewandt, mit dem Appell „ihre Verantwortung für die Kultur aus[zu]weiten auf eine Verantwortung auch für die Kulturschaffenden“. Konkrete Forderung der GNM ist mehr Sendezeit für die Werke lebender Komponist*innen, um so eine „Plattform und Öffentlichkeit“ zu schaffen, die den Künstler*innen durch die Krise weitgehend genommen wurde. Dabei soll nicht nur Archivmaterial gesendet werden. Studioproduktionen und Mitschnitte, um die Arbeit der Freien Szene in Corona-Zeiten „professionell zu dokumentieren“, sind ebenfalls gefordert. Eindringlich liest sich dieser Aufruf an die Rundfunkanstalten und appelliert vor allem an die Annahme der Verantwortung in Krisenzeiten.
Und natürlich geht es ums Geld. Gerade Komponist*innen (und Verlage übrigens auch) wird es mit Zeitverzögerung treffen. Kompositionsaufträge können auch in Krisenzeiten vergeben und ausgeführt werden – das ist aber nur die Hälfte der Geschichte, denn die Ausschüttungen der GEMA sind für die Urheber eine genauso wichtige Einnahmequelle. Aber während Interpret*innen für nicht stattgefundene Konzerte möglicherweise immerhin ein Ausfallhonorar erhalten, wird kein Veranstalter für eben jene Konzerte auch noch die GEMA abführen. Diese Ausfälle werden sich schmerzlich bemerkbar machen, nur eben nicht sofort.
Genau hier kann der Rundfunk tatsächlich ganz konkret helfen, indem er produziert und vor allem sendet. Denn an Öffentlichkeit fehlt es der Musik nicht, es fehlt ihr an Bezahlung. Musiker*innen weltweit teilen sich und ihre Kunst über das Internet mit. In den sozialen Netzwerken kommt man an Live-Streams und Heim-Performances nicht mehr vorbei. Die schiere Vielzahl dieser Formate lässt zum einen Freude aufkommen ob der gebündelten Kreativität, die sich hier bahnbricht, und zum anderen tief blicken auf die unterschwellig immer mitschwingende Angst, bei zu wenig Sichtbarkeit durch die Krise vom Markt getilgt zu werden. Wobei es gleichzeitig nur ein kleiner Schritt ist zur Selbstausbeutung, die der Freien Szene ohnehin zur Genüge bekannt ist.
Denn Gratiskultur und Überangebot konterkarieren alle Debatten über Mindestgagen und -vergütungen, die in den vergangenen Jahren teilweise erbittert geführt wurden. Springt an dieser Stelle der Rundfunk in die Bresche und kompensiert durch GEMA- und GVL-relevantes Airplay die krisenbedingten Ausfälle auch nur teilweise, ist am Ende allen geholfen.
Wie reagieren nun die Sendeanstalten auf diesen flammenden Appell der GNM? Sie tun es zunächst erstaunlich umfänglich und zahlreich. Ein Großteil der angeschriebenen Sender antwortet nach Aussage der GNM in persönlichen Briefen, der SWR sogar öffentlich. Tenor: Völlig richtig, aber wir tun doch schon alles, was wir können. Und tatsächlich stimmt das hie und da: Der WDR zum Beispiel hat die wunderbare „Kulturambulanz“ ins Leben gerufen, mithilfe derer ausgefallene Veranstaltungen (nicht nur in der Musik und nicht nur in der zeitgenössischen) aufgezeichnet und gesendet werden – und dies als zusätzliches Programm, speziell aus der Krise geboren. Auch der SWR ermöglicht, dank eines neueingerichteten Etats spezielle „Corona-Produktionen“, bei denen Musiker*innen für Aufnahmen in die sendereigenen Studios eingeladen werden.
So weit geht das Engagement längst nicht bei allen Sendern und natürlich kann der Rundfunk auch nicht der alleinige Retter der Freien Szene sein. Trotzdem steht beziehungsweise stünde es ihm gut zu Gesicht, gerade in diesen Zeiten ein Zeichen der Solidarität über die vermeintliche Grenze von institutioneller und freier Kulturszene hinaus zu setzen. Denn der Rundfunk kann, was Soforthilfeprogramme, Rettungsschirme, Sonderfonds und Einmalzahlungen nicht können: langfristig unterstützen. GEMA- und GVL-Einnahmen sind eine sichere Einnahmequelle für Komponist*innen und Musiker*innen.
Dass der Anteil zeitgenössischer Musik im Programm der Öffentlich-Rechtlichen in den letzten Jahren immer weiter gesunken ist, darüber kann auch kein noch so verständnisvolles Schreiben aus der Intendanz oder Hörfunkdirektion hinwegtäuschen.
Die Zahlen sprechen für sich. Die Diskussion darüber ist ebenfalls nicht neu, bisher allerdings ohne erfolgreichen Ausgang. Das könnte, das sollte, das muss sich jetzt ändern. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk kann einer der starken Partner sein, die die zeitgenössische Musik jetzt braucht und zwar über die aktuelle Situation hinaus.
Daniel Mennicken, Geschäftsführer ON – Neue Musik Köln